Strittige Experten

Susanne Schwarz über vermeintliche Experten, die Feinstaub und Stickoxide als Gefahr für den Menschen kleinreden

  • Susanne Schwarz
  • Lesedauer: 4 Min.

Im richtigen Moment kann vieles ganz einfach erscheinen. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) stellt die EU-weit gültigen Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide in der Luft via »Bild am Sonntag« in Frage. Im EU-Verkehrsministerrat wolle er sie zur Debatte stellen - und damit auch die von ihm so gehassten Einschränkungen für Autofahrer, Fahrverbote etwa, die zur Einhaltung der Grenzwerte nötig sein dürften.

Scheuer begründet das mit der Initiative des Lungenarztes Dieter Köhler aus der vergangenen Woche. Der hat zusammen mit drei anderen in einem Positionspapier den wissenschaftlichen Konsens angegriffen, dass diese Luftschadstoffe gesundheitsschädlich sind. Die Aufhebung der Grenzwerte fordern die Autoren gleich mit. Unterschrieben haben das knapp über 100 Lungenärzte.

Es ist ein Weg, und dann auch noch der deutlich bequemere, den Widerspruch zwischen Anspruch - gesunde Luft - und Wirklichkeit - luftverpestende Autos - in der deutschen Verkehrspolitik aufzulösen. Es wird einfach bestritten, dass es ihn überhaupt gibt.

Die Medienlandschaft bebte und tut es noch. Seit Tagen geht es um den augenscheinlichen Disput der Wissenschaft um die Grenzwerte. In wissenschaftlichen Sphären hätte das Positionspapier allerdings von allein wohl kaum Wellen geschlagen: Zwei Seiten mit unbelegten Behauptungen, als pdf-Datei irgendwo im Internet verbreitet, geschrieben und unterzeichnet von ein paar niedergelassenen Ärzten ohne eigene Forschung, nicht unterzeichnet von etwa 97 Prozent der dazu aufgerufenen Ärzte. Hinzu kommt, dass mindestens einer der vier Autoren Verbindungen in die Automobilindustrie hat. Das alles disqualifiziert die Aussagen des Papiers natürlich nicht automatisch. Es ist aber verdächtig.

Seit Jahrzehnten ist es etwa auch die Strategie der organisierten Klimaleugnerszene, vermeintliche Experten in politische Debatten zu schicken. In Deutschland versucht das zum Beispiel der Verein Eike, ausgeschrieben »Europäisches Institut für Klima und Energie«. Seine Mitglieder lehnen den wissenschaftlichen Konsens darüber ab, dass es einen größtenteils vom Menschen verursachten Klimawandel gibt. Ein Institut im eigentlichen Sinne, eine Einrichtung mit Lehr- oder Forschungsbetrieb also, ist Eike nicht - und Klimaforscher gehören nicht zu den Mitgliedern. Auftritte in den deutschen Qualitätsmedien gibt es so gut wie nicht, dafür prägt Eike die (Anti-)Klimapolitik der AfD. In den USA werden die Klimaskeptiker unter anderem von konservativen Superreichen und von fossilen Energiekonzernen finanziert. Auch sie nennen sich gern »Institut« oder »Thinktank« und versuchen so, sich als Experten zu inszenieren.

Solche Wortmeldungen verbreiten Unsicherheit und Verwirrung, geben sie doch den Anschein, dass die Wissenschaft gespalten sei - und man für politische Konsequenzen noch nicht genug wisse. Es klingt ein Versprechen mit: Das im Großen und Ganzen komfortable Leben, an das sich der globale Norden gewöhnt hat, muss sich nicht ändern. Da ist sie wieder, die einfache Lösung.

Aber nicht umsonst nennen Sozialwissenschaftler den Klimawandel ein »wicked problem«, also ein »verflixtes Problem«. Der Begriff bezeichnet Notstände, die so unübersichtlich und schwierig sind, dass sie schon schwer zu beschreiben, geschweige denn zu lösen sind.

Ist der Klimawandel ein technologisches Problem, das wir mit einer ordentlichen Portion Innovationsgeist lösen können? Ist er ein Symptom moderner Verfremdung von den natürlichen Lebensgrundlagen? Ist er eine Krise, die der Kapitalismus zwangsläufig hervorbringen musste?

So unterschiedlich die Visionen für eine nachhaltige Gesellschaft aussehen mögen, eins ist sicher: Das Leben, wie viele es in Deutschland bislang führen, steht der Lösung ziemlich sicher im Weg. Von schweren Autos, Unmengen an Fleisch, Kohlestrom, Betonbauwut, selbstverständlichen Flugreisen und den davon profitierenden Wirtschaftszweigen werden wir uns verabschieden müssen - ob es uns gefällt oder nicht.

Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, die in den vergangenen Monaten durch ihren Schulstreik berühmt wurde, hat es in einer Rede auf dem Weltklimagipfel in Katowice gut getroffen: Wir können die Krise nicht lösen, ohne sie wie eine Krise zu behandeln. Es ist der richtige Moment, um sich damit abzufinden, dass das nicht einfach wird.

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