Ein Hauch von Klassenkampf

SPD präsentiert unter Beifall der Parteilinken Sozialstaatskonzept. Umgesetzt wird es in absehbarer Zeit aber nicht

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist ein Akt der Versöhnung. Am Rande der zweitägigen SPD-Vorstandsklausur im Berliner Willy-Brandt-Haus posieren der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert und Parteichefin Andrea Nahles mit fünf weiteren ehemaligen Anführern der Jungsozialisten für ein Foto. »Der Kampf gegen die Logik des Hartz-Systems war immer auch ein Kampf der Jusos. Die Juso-Vorsitzenden von 1995-2019 freuen sich heute über einen späten, aber wichtigen Erfolg«, schreibt Kühnert zu dem Foto im Kurznachrichtendienst Twitter.

Kühnert und Nahles waren in den vergangenen Monaten oft geteilter Meinung. Der Jungpolitiker kritisierte den erneuten Gang der SPD in die Große Koalition. Nahles sah hingegen keine andere Möglichkeit, nachdem die Koalitionsverhandlungen von Union, FDP und Grünen gescheitert waren. Nun präsentierten sich die Sozialdemokraten so einig wie schon lange nicht mehr. Anlass hierfür war das neue Sozialstaatskonzept der Partei, das am Sonntag einstimmig vom Vorstand beschlossen wurde. Darin werden einige Forderungen des linken SPD-Flügels aufgenommen. Dazu zählt etwa das »Bürgergeld«, das Hartz IV ersetzen soll. Einige Sanktionen würden nach diesem Konzept entfallen und Leistungsempfänger zwei Jahre nicht mit Fragen nach ihrem Vermögen oder der Größe ihres Wohnraums konfrontiert werden.

Allerdings sind solche Reformen in der Koalition mit der Union nicht umsetzbar. Und andere Machtperspektiven hat die SPD derzeit nicht. Zwar gibt es noch rot-rot-grüne Gesprächskreise, aber in Umfragen ist ein solches Bündnis weit von einer gemeinsamen Mehrheit entfernt. Hinzu kommt, dass es zwischen Sozialdemokraten und LINKEN trotz des Sozialstaatskonzepts der SPD weiterhin große inhaltliche Unterschiede gibt.

Linksparteichefin Katja Kipping teilte am Montag mit, dass es in dem SPD-Papier »Licht und Schatten gibt, aber leider keine Abkehr vom Hartz-IV-Sanktionssystem«. Positiv bewertete Kipping »partnerschaftliche Arbeitszeitmodelle«, das »Recht auf Nichterreichbarkeit« und den Kampf gegen die Ausbeutung von Soloselbstständigen. Dagegen kritisierte sie, dass »die viel zu niedrigen Hartz-IV-Regelsätze« nicht erhöht werden sollen. »Das Konstrukt Bedarfsgemeinschaft bleibt unangetastet. Damit werden Menschen weiterhin gezielt in Armut und Existenzangst gehalten«, sagte Kipping. Aus ihrer Sicht müsse Schluss sein mit den Armutsregelsätzen und Schluss mit den Hartz-IV-Sanktionen.

Sozialpolitiker der Grünen begrüßten ebenfalls Teile des SPD-Konzepts, sprachen aber auch von »deutlichen Lücken«. »Es ist richtig, für einen höheren Mindestlohn, für bessere Tarifbindung und gegen ein Ausufern der Minijobs einzutreten«, erklärten die Bundestagsabgeordneten Sven Lehmann und Wolfgang Strengmann-Kuhn. Ähnlich wie Kipping kritisierten aber auch sie das grundsätzliche Festhalten der SPD an den Hartz-IV-Sanktionen. Diese könnten für die Betroffenen Wohnungslosigkeit oder Stromsperren bedeuten.

In ihrem Programm für die Bundestagswahl 2017 haben die Grünen die Abschaffung der Sanktionen gefordert. Allerdings stand das Thema beim Wahlkampf nicht im Vordergrund. Während der Verhandlungen mit Union und FDP über eine Koalition wollten die Grünen offensichtlich auf die Forderung zugunsten der Hartz-IV-Betroffenen verzichten. In der SPD und in der Linkspartei argwöhnt deswegen so mancher, dass die Grünen eher für eine Jamaika-Koalition statt für ein Mitte-links-Bündnis zur Verfügung stehen würden.

Derzeit werden in einigen Medien Gerüchte verbreitet, dass die SPD ein Ende der Großen Koalition provozieren will. Dann gäbe es die Optionen Neuwahlen, Schwarz-Gelb-Grün oder eine Minderheitsregierung. Die Sozialdemokraten haben bei Umfragewerten zwischen 15 und 17 Prozent kaum noch etwas zu verlieren.

Offiziell weist aber nichts darauf hin, dass Union und SPD bald auseinandergehen könnten. »Ich wüsste nicht, was die Beschlüsse dieses Wochenendes mit dem Fortbestand der Koalition zu tun haben sollen«, sagte Nahles am Montagnachmittag vor Journalisten. Im Vorstand sei auch nicht über diese Frage diskutiert worden. Am Ende des Jahres wollen die Sozialdemokraten auswerten, was sie in der Bundesregierung durchsetzen konnten und was nicht.

Politiker der Union lehnten die Sozialstaatspläne der SPD ab. Einige von ihnen äußerten aber auch grundsätzlich Verständnis für den Vorstoß ihres Koalitionspartners. Es sei »total legitim«, »in Ordnung« und auch »notwendig«, dass »die Parteien in der Koalition ihr Profil schärfen«, sagte Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus gegenüber dem ZDF. »Die SPD hat sich jetzt entschieden, mit den Beschlüssen von gestern weiter nach links zu rücken.« Das kritisiere er auch nicht, so der CDU-Politiker. Er betonte aber: »Wir haben einen anderen Ansatz.«

Offen ist die Frage der Finanzierung des SPD-Konzepts. Generalsekretär Lars Klingbeil sagte im ZDF-Morgenmagazin, dass man für den Erhalt des Sozialstaates »auch Superreiche zur Verantwortung ziehen« müsse. Zudem sei die Wiederbelebung der Vermögensteuer ein Punkt, über den in der SPD nachgedacht werde. Ähnliche Änderungen in der Steuerpolitik hatte die Partei allerdings auch in Programmen der vergangenen Jahre gefordert, ohne etwas davon umzusetzen.

Das Thema Steuergerechtigkeit soll im anstehenden Europawahlkampf der SPD im Mittelpunkt stehen. Darüber diskutierte die Parteispitze am Montag auch mit EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici, dessen SPD-Schwesterpartei Parti Socialiste in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden droht. Der Franzose forderte ein Ende des Einstimmigkeitsprinzips, um bei umstrittenen Fragen wie der Digitalsteuer für Internetkonzerne in der EU rascher zu Entscheidungen zu kommen.

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