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Messe für Überwachungstechnik

Zahlreiche Proteste in Berlin gegen den 22. Europäischen Polizeikongress

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine kleine Gruppe von linken Aktivisten läuft Dienstagvormittag auf den Eingang des Berliner Congress Centrums am Alexanderplatz zu. Vor der Tür setzen sie sich auf die Straße und verhaken ihre Arme - der Zugang ist blockiert. Zumindest für eine kurze Zeit. Polizisten eilen rasch herbei und tragen die Störer einzeln weg. Einige Beamte halten Maschinenpistolen in ihren Händen.

Der Grund für die Blockade: Von Dienstag bis Mittwoch findet in dem Gebäude der Europäische Polizeikongress statt. Rund 1800 inländische und ausländische Politiker, Vertreter von Polizeibehörden, Sicherheits- und Geheimdiensten sowie von Rüstungs- und Technologieunternehmen werden erwartet. Kritiker sehen in der jährlichen Konferenz ein Vernetzungstreffen der Repression: »Für einige mag die Polizei vielleicht als ›Freund und Helfer‹ auftreten, für viele stellt sie dagegen eine alltägliche Bedrohung dar«, erklärten die Blockierer in einer Mitteilung. Ihr Protest richte sich gegen die »Aufrüstung und Militarisierung« der Polizei sowie gegen »mörderische Polizeigewalt«.

Das Motto des 22. Europäischen Polizeikongresses lautet »Migration - Integration - Sicherheit«. Neben Fragen der Grenzkontrolle spielt digitale Überwachung eine zentrale Rolle. Auf Fachforen wird über »intelligente Grenzen und Identitätsmanagement«, die »Analyse und Auswertung von Massendaten«, »künstliche Intelligenz als Instrument für die Polizei« sowie »Videoüberwachung von öffentlichen Räumen« diskutiert. Anwesend sind unter anderem Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts, Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, und Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne). Am Mittwoch findet eine Diskussionsrunde der Landesinnenminister statt. Veranstaltet wird der Kongress von der Zeitschrift »Behörden Spiegel«.

Während die Rüstungsschmiede Rheinmetall neueste Waffensysteme präsentiert und rumänische Polizisten von der Abschottung der EU-Außengrenzen berichten, ist die Zivilgesellschaft auf dem Kongress kaum präsent. Zwar dürfen »Bild«-Chefredakteur Julian Reichelt und Georg Mascolo, Leiter des Rechercheverbundes von NDR, WDR und »Süddeutsche Zeitung«, mit Behördenvertretern über »öffentliches Interesse und Geheimhaltung« diskutieren - dabei bleibt es jedoch auch.

Die zahlreichen Polizei- und Geheimdienstskandale der jüngsten Zeit spielen zumindest in dem öffentlich einsehbaren Programm keine Rolle. Zu diskutieren gäbe es dabei einiges: Massenproteste in mehreren Bundesländern gegen als autoritär wahrgenommene Polizeigesetze, sächsische Polizisten, die erst vergangene Woche in Dresden wiederholt Pressevertreter bei ihrer Arbeit behinderten, Ermittlungen wegen eines möglichen Neonazi-Netzwerks in der hessischen Polizei. Die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız hatte in den vergangenen Wochen mehrmals Todesdrohungen erhalten. Die Briefe waren mit »NSU 2.0« unterschrieben und enthielten Informationen, die offenbar aus Polizeidatenbanken stammen.

Politiker und zivilgesellschaftliche Initiativen kritisierten den Kongress scharf. »Dieser sogenannte ›Europäische Polizeikongress‹ ist eigentlich eine Messe, auf der sich Unternehmen als ›Sponsoren‹ Redezeit kaufen können«, sagte der LINKE-Abgeordnete Andrej Hunko gegenüber »nd«. Es handele sich vielmehr um eine »Verkaufsveranstaltung für Überwachungstechnologie«. Die innenpolitischen Probleme Europas bräuchten dabei politische und keine technischen Lösungen, so Hunko.

Laut dem Abgeordneten fördert der Kongress zudem besonders den Ausbau europäischer Polizeidatenbanken. »Dies geht auf Kosten der Bürger- und Freiheitsrechte«, warnte Hunko. Die Ausweitung der Datensammlung sei wiederum auch für Unternehmen von großem Interesse. »Für das nächste Jahrzehnt winken Milliarden, wenn jede Grenzstation mit biometrischen Scannern und Lesegeräten ausgerüstet wird.«

Die Rote Hilfe Berlin bemängelte die Leerstellen des Kongresses: »Die kürzlich aufgedeckten rechten Netzwerke im Sicherheitsapparat sind natürlich ebenso wenig Thema wie die Kultur der Straflosigkeit gegenüber polizeilichen Schlägern«, teilte die Rechtshilfeorganisation mit. Gleichzeitig werde kein Zweifel gelassen, gegen wen sich die technischen Neuerungen richten sollen: »Linke, Migranten und alle von der Gesellschaft Marginalisierten.«

Kritik gab es auch von der Flüchtlingsinitiative »Corasol«. Diese hatte am Dienstagnachmittag eine Kundgebung unter dem Motto »Menschen schützen statt ›Grenzen sichern‹« vor dem Berliner Congress Centrum abgehalten. Rund 50 Menschen nahmen an der Versammlung teil. »Während des Polizeikongresses werden neue Formen der Grenzkontrollen debattiert, wodurch noch mehr Leute umkommen werden«, sagte die Aktivistin Solange Fosso. »Die Gründe, die uns nach Europa bringen, sind aber bedeutsamer als all die Abschottungsmaßnahmen.«

Am Samstag hatten in Berlin rund 1200 Menschen gegen den Europäischen Polizeikongress demonstriert.

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