Gemüsehändler Erdogan

Yücel Özdemir über eine staatliche Regulierungsmaßnahme, um der explodierenden Preise Herr zu werden

  • Yücel Özdemir
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor zwei Wochen berichtete ich an dieser Stelle schon einmal über den exorbitanten Anstieg der Gemüsepreise in der Türkei. Seitdem ist viel passiert. Präsident Erdogan und seine Regierung, als Vertreter des Neoliberalismus verantwortlich für immense Privatisierungsprogramme, schlagen nun wegen der Gemüsepreise einen »etatistischen« Kurs ein.

Seit dem 11. Februar kauft der Staat nämlich selbst das Gemüse bei den Produzenten, um es dann in Istanbul und Ankara direkt an die Verbraucher weiterzuverkaufen. »Regulierungsverkauf« heißt das. Laut dem Institut für die türkische Sprache TDK bedeutet »Regulierung«, etwas einzusortieren, zu justieren, auf den richtigen Weg und in Ordnung zu bringen.

Seit dem »Regulierungsbeschluss« der Regierung wurde in Istanbul an 50 und in Ankara an 15 Orten damit begonnen, aus Autos der Stadtverwaltung günstiges Gemüse zu verkaufen. Paprika, die auf dem normalen Markt 15 bis 16 Lira pro Kilo kosten werden für sechs Lira verkauft, Tomaten und Gurken für ein Drittel des Marktpreises, und auch Zwiebel und Kartoffeln kosten nur zwei statt fünf bis sechs Lira. Unklar ist allerdings, ob die Bauern ihre Produkte wirklich billig verkaufen oder ob die Preissenkung durch Subventionen ermöglicht wurde. Viele sind der Überzeugung, dass die Stadtverwaltungen für den Preisunterschied zahlen. Für die Bürger ist das jedoch letztlich nicht so wichtig. Was zählt, ist günstiges Gemüse.

Die Bevölkerung, die es satt hatte, wochenlang teures Gemüse zu kaufen, strömte zu den Regulierungsverkaufsstellen. Lange Schlangen bildeten sich davor. Wer nach stundenlangem Warten ein paar Kilo Gemüse nach Hause trug, freute sich. Einige bedankten sich dafür bei der Regierung, andere waren wütend, weil sie sich für Gemüse überhaupt anstellen mussten. Vor allem in den proletarischen Bevölkerungsschichten, die Versorgungsmangel fürchten, wächst eher die Wut.

Außerdem hat der Verkehrsminister die türkische Post angewiesen, im Internet per »elektronischer Regulierung« einen Verkauf zu beginnen; er begann in Ankara und startete diese Woche auch in Istanbul. Auf einer Webseite darf jeder Einwohner von acht verschiedenen Produkten maximal drei Kilo bestellen. Der Lieferservice der Post bringt das Gemüse dann zu den Kunden.

Kurzum: Um die Gemüsepreise zu senken, wird die Regierung selbst zum Gemüsehändler. Und wie lange soll diese Situation anhalten? Laut Medienberichten und der Webseite der Post zweieinhalb Monate. Es wird erwartet, dass sich in dieser Zeit das Wetter und damit auch die Preise normalisieren. Erdoğan kündigte allerdings an, dass das Verkaufssystem nach den Regionalwahlen Ende März sogar auf alle 81 Provinzen ausgeweitet werde.

Die Händler und Marktverkäufer reagierten auf den Beginn des Gemüsehandels der Regierung. Die Bauern sagen, dass die Preisregulierung für sie keine Lösung sei, denn die Produkte für die Ernte seien ebenfalls teuer. Ahmet Atalık, Vorsitzender der Istanbuler Abteilung der Kammer für Landwirtschaftsingenieure, erklärte gegenüber der Zeitung »Evrensel«, die Gründe der Verteuerung folgendermaßen: »Die Preise für Dünger sind um 100 Prozent gestiegen, die von Insektenbekämpfungsmitteln um 80 Prozent. Die Produzenten bestellen Treibstoff, Insektenbekämpfungsmittel und Dünger aus dem Ausland. Jeder noch so geringe Währungsverfall schlägt sich auf die Produktionskosten nieder«, so Atalık. »Unsere gesamte Anbaufläche ist um 3,2 Millionen Hektar zurückgegangen. Die Bauern bestellen die Felder nicht mehr, weil sie für ihre Arbeit nicht entsprechend entlohnt werden.« Damit die Bauern anbauen können, müssen die Bedingungen stimmen.

Erdoğan versucht, die Tragweite herunterzuspielen. Auf einer Wahlkundgebung in Sivas sagte er: »Worüber reden sie denn; Tomaten, Auberginen, Kartoffeln, Pepperoni ... Denkt mal daran, wie viel eine Kanonenkugel kostet. Da stehen sie und reden über Kartoffeln, Zwiebeln und Tomaten.« Er meinte damit, dass diejenigen, die sich über den Preisanstieg beschweren, »den Kampf gegen den Terror« schwächen würden.

Der Präsident bringt also den Anstieg der Gemüsepreise mit dem »Terrorismusproblem« in Verbindung - um so den Unmut zu unterdrücken. Aber er hat ein schweres Los gezogen, denn in der Küche brennt es bereits.

Aus dem Türkischen von Svenja Huck. Lesen Sie hier die Kolumne in türkisch.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal