Zu Fuß zur Schule über eine Landstraße ohne Gehweg - ist das zumutbar?
Wer muss für den Schulweg zahlen?
Eine kurvige Landstraße liegt auf Marcs Schulweg. Im Sommer muss der 13-Jährige sie einmal am Tag entlanglaufen, weil dort kein Bus fährt und seine Eltern nur eine Fahrt übernehmen können. Muss der Landkreis dem Jungen ein Taxi bezahlen?
Einmal, so erzählt Marc, war es ganz knapp. Da sei ein Auto dicht an ihm vorbeigerauscht und habe ihn fast erwischt. Ob er sich erschrocken hat? Marc macht große Augen. »Ja, ziemlich.« Der 13-Jährige kommt aus Marktschorgast in Oberfranken. Um zu seiner Schule im Nachbarort zu gelangen, muss er zur Bushaltestelle laufen - eben über die besagte kurvige Landstraße, auf der Tempo 80 km/h gilt.
Trotz Bildungs- und Teilhabepaket bleiben einem Urteil zufolge die Schulträger für die Erstattungen von Fahrtkosten zuständig. Das Jobcenter müsse die monatlichen Schülerfahrtkosten als Bildungs- und Teilhabeleistung nicht übernehmen, so das nordrhein-westfälische Landessozialgericht in Essen am 19. Februar 2019 (Az. L 7 AS 783/15).
Geklagt hatten drei Schwestern, deren Familie Hartz IV bezieht. Die Schülerinnen forderten die Übernahme der Fahrtkosten in Höhe von jeweils monatlich 36,40 Euro für die Zeit von Juni 2012 bis Dezember 2014 ein. Zwei Mädchen besuchten eine Grundschule, das dritte eine Fördergrundschule. Bei allen handelte es sich um die räumlich nächstgelegene Schule.
Die Richter entschieden, dass nicht das Jobcenter, sondern der Schulträger die Fahrtkosten übernehmen müsse. Die Leistungsbezieher hätten kein Wahlrecht, gegen welchen Träger sie einen Anspruch geltend machen. Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket sollten lediglich Lücken im System schließen. Komme eine andere Stelle für die Kosten auf, bleibe diese zuständig, so das Gericht. Das gelte auch, wenn die Leistungen etwa aufgrund eines fehlenden Antrags oder des Versäumens der Antragsfrist nicht gezahlt würden.
Für den Schulweg bedeutet das, dass der Schulträger die Fahrtkosten nach bestimmten Regelungen übernimmt. Dabei können etwa die Entfernung zur Schule, gesundheitliche Gründe oder besondere Gefährlichkeit eine Rolle spielen. epd/nd
Landratsamt soll eine Taxifahrt am Tag übernehmen
Marcs Stiefvater Günter Landendörfer sagt: viel zu gefährlich. Er fordert, dass das Landratsamt Kulmbach Marc das ganze Schuljahr über eine Taxifahrt am Tag bezahlt. Die andere Fahrt kann in der Regel die Mutter übernehmen. Das Landratsamt aber sagt, im Sommer sei der Fußweg zumutbar. Es will nur im Winter für das tägliche Taxi zahlen.
Wer muss also für Marcs Schulweg aufkommen? Mit dieser Frage beschäftigte sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in München. Marcs Stiefvater hatte zuvor beim Landratsamt geklagt. Seine Forderung wurde jedoch zurückgewiesen. Dafür hat er kein Verständnis.
»Man kann da ein Kind nicht alleine losschicken«, sagt er. »Es sind 2,3 Kilometer, die Hälfte davon auf diesem unübersichtlichen Überlandweg. Die Strecke ist absolut einsam, links und rechts ist Wald, und eine erwachsene Person läuft da eine halbe Stunde.«
Marc habe im vergangenen Jahr eine Operation wegen seiner X-Beine gehabt. »Der läuft unter Schmerzen. Aber auch für ein gesundes Kind geht das gar nicht.« Im Sommer sei der Weg wegen des Blätterwerks der Bäume, die die Straße säumen, noch gefährlicher als im Winter.
Beförderung Sache der Kommunen: Was gilt wo?
Die Beförderung von Schülern ist in Bayern Aufgabe der Kommunen. Die müssen den Transport dann übernehmen, wenn der Schulweg in einer Richtung mehr als drei Kilometer beträgt und es nicht zumutbar ist, den Weg auf andere Weise zurückzulegen. »Bei besonders beschwerlichen oder besonders gefährlichen Schulwegen könne auch bei kürzeren Wegstrecken die Notwendigkeit der Beförderung anerkannt werden«, erklärte dazu eine Sprecherin des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs.
Ähnlich sind die Regeln in Nordrhein-Westfalen. Für die Sekundarstufe I, also Haupt- und Realschüler sowie Gymnasiasten der Klasse 10, gilt dort: Ist der Schulweg mehr als 3,5 Kilometer weit, werden die Kosten erstattet. In Sachsen-Anhalt variiert die Grenze je nach Landkreis: von 1,4 Kilometer für Grundschüler bis zu 5 Kilometer für Schüler der Oberstufe am Gymnasium. Ausnahmen für besonders gefährliche Strecken wie in Bayern gebe es in Sachsen-Anhalt nicht.
Urteil: Landkreis muss Kosten für Beförderung übernehmen
Ist Marcs Schulweg als besonders gefährlich einzustufen? Das Landratsamt Kulmbach sagt: zumindest in den Monaten Mai bis September nicht. Mit Urteil vom November 2017 habe das Verwaltungsgericht Bayreuth diese Rechtsauffassung bestätigt, so das Landratsamt.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof verschaffte sich vor Ort ein Bild von der Lage. Das Ergebnis: Marc und sein Stiefvater haben Recht. Das Gericht empfahl dem Landkreis in der mündlichen Verhandlung, die Kosten für die Beförderung zu übernehmen - und zwar nicht nur im Winter, sondern auch in den Sommermonaten. Und das bis zum zehnten Schuljahr.
Das akzeptierte der Landkreis nach dem Ortstermin. Damit wurde der Streit nach Jahren mit einer Einigung und ohne Urteil beigelegt, das Verfahren eingestellt. Mit Urteil vom November 2017 hatte das Verwaltungsgericht Bayreuth die Rechtsauffassung des Landratsamtes in erster Instanz noch bestätigt. dpa/nd
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