Die Krise des Anti-Trump

Kanadas Premierminister Trudeau steht wegen eines Bestechungsskandals in der Kritik

  • John Dyer, Boston
  • Lesedauer: 4 Min.

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau, charismatisch und als fortschrittlich geltend, hat sich längst zum vermeintlichen Gegenmodell des rechten Populismus entwickelt, der in den USA und einem Großteil Europas auf dem Vormarsch ist.

Doch jetzt kämpft der 47-jährige Trudeau darum, seine politische Karriere zu retten. Denn er steht im Fokus eines Skandals, der ihn als Betrüger entlarven könnte. Es betrübe sie, von ihrem Amt zurücktreten zu müssen, schrieb die Finanzchefin der Regierung, Jane Philpott, als sie am Montag ihren Rückzug ankündigte. Aber: »Ich muss mich an meine Grundwerte, meine ethische Verantwortung und verfassungsmäßigen Verpflichtungen halten«, so Philpott.

Anlass für diesen Schritt war die Weigerung Trudeaus, Vorwürfe adäquat zu beantworten, denen zufolge er Staatsanwälte dazu aufgefordert haben soll, keine Anklage gegen SNC-Lavalin zu erheben. SNC-Lavalin ist ein riesiges Ingenieurbüro mit Sitz in Quebec. Der Firma wird vorgeworfen, zwischen 2001 und 2011 rund 36 Millionen Dollar (31,86 Millionen Euro) Bestechungsgelder an die Familie des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi gezahlt zu haben.

Vor Philpott war schon die ehemalige Generalstaatsanwältin Jody Wilson-Raybould am 12. Februar aus Trudeaus Kabinett zurückgetreten. Sie teilte einem Parlamentsausschuss mit, dass der Premierminister sie unter Druck gesetzt habe, sich mit SNC-Lavalin im Rahmen eines neuen Sanierungsgesetzes zu einigen. Wilson-Raybould sagte zudem aus, dass Trudeau sie zu einer Veteranenministerin degradiert habe, nachdem sie seinen Bitten widerstanden hatte.

Das besagte Gesetz hatte die Liberale Partei im vergangenen Jahr nach intensiver Lobbyarbeit des Unternehmens SNC-Lavalin beschlossen. Es erlaubt den Behörden, die Strafverfolgung aufzuschieben, wenn Unternehmen sich bereit erklären, Geldbußen zu zahlen und andere Maßnahmen zu ergreifen.

SNC-Lavalin hat angekündigt, man sei zu Wiedergutmachungen für die Taten unter ehemaligen Vorstandsvorständen bereit, eine strafrechtlich Untersuchung erwarte man aber nicht.

Derweil hat sich der Vorfall zu einer handfesten Regierungskrise ausgeweitet. Trudeaus Staatssekretär Gerald Butts trat ebenfalls am 18. Februar wegen der Affäre um SNC-Lavalin zurück. Er soll am Mittwoch vor einem parlamentarischen Ausschuss zu dieser Angelegenheit aussagen.

Der Premierminister besteht darauf, dass weder er noch seine Mitarbeiter unangemessen gehandelt haben. Allerdings haben weder Wilson-Raybould noch Rechtsexperten nahegelegt, dass der Premierminister das Gesetz gebrochen hat.

Bei einer Klimakundgebung in Toronto am Montag wich Trudeau dem Thema nicht aus. »Diese Angelegenheit hat eine wichtige Diskussion ausgelöst«, sagte Trudeau dem Publikum. »Wie sich unsere demokratischen Institutionen, insbesondere das Bundesministerium und die Mitarbeiter und Funktionäre, die es unterstützen, verhalten, ist kritisch und Kern aller unserer Prinzipien.«

Unterdessen unterstützten andere Mitglieder seines Kabinetts Trudeau öffentlich. »Ich bin stolz darauf, mit einer Führungskraft zusammenzuarbeiten, die sich auf Arbeitsplätze, die Entwicklung der Mittelschicht und die Stärkung unserer Wirtschaft konzentriert«, sagte Verkehrsminister Marc Garneau in einer Erklärung.

Aber der Skandal hat Trudeaus Image geschadet, vor allem, weil er stark auf Werte wie Transparenz und Respekt für Frauen und Kanadas sogenannte »First Nations«, die indigenen Gemeinschaften, setzte. So ist die ehemalige Ministerin Wilson-Raybould Mitglied der We Wai Kai Nation.

Nun hat Trudeaus Popularität mit dem Ausbruch des Skandals einen Tiefpunkt erreicht - und das im Angesicht der Bundeswahlen im Oktober.

Einundfünfzig Prozent der Befragten einer kürzlich durchgeführten Ipsos-Umfrage an, Trudeau solle sein Amt vorläufig ruhen lassen, bis die Vorwürfe aufgeklärt sind. Fünfundsiebzig Prozent sagten, sie glaubten Wilson-Raybould.

»Trudeau wird auf den ersten Blick des gleichen Vergehens beschuldigt, das Trump zugeschrieben wird: der Einmischung in juristische Prozesse, um daraus politischen Nutzen zu erzielen«, schrieb »The National Post«, eine angesehene konservative Zeitung, in einer Analyse.

Vorhersehbarerweise haben die Gegner des Premierministers versucht, aus seinen Problemen Kapital zu schlagen. »Justin Trudeau muss das Richtige tun und zurücktreten«, sagte der Parteichef der Konservativen, Andrew Scheer, am Dienstag und fügte hinzu, dass Trudeau die Justiz behindert haben könnte. Dies würde in der Tat eine Straftat darstellen. »Ich habe eine Untersuchung gefordert, um festzustellen, ob die Grenze der Kriminalität überschritten wurde.«

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