Die Ruhestörer

Stefan Fischer über die Illusion des Weiterschlafens durch die App »Verspätungsalarm« der Bahn

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Auch als Pendler, der tagtäglich mit der Deutschen Bahn kommt, kommt man nicht um die Nutzung des Internet herum. Also vor und nach der Fahrt. Um zu schauen, ob der Zug am Morgen oder am Abend fährt, warum er gerade nicht oder nur verspätet kommt. Die Bahn wirbt für die Nutzung einer ihrer Apps übrigens damit, sich durch ihre Nutzung etwas Zeit zum »Noch-einmal-Umdrehen« verschaffen zu können - es handelt sich um eine App namens Verspätungsalarm. Nun lassen den geneigten Nutzer Alarme an sich aber eher aufschrecken denn noch einmal in Ruhe zurücksinken. Weckerrasseln als Signal: »Du kannst weiterschlafen!« - darauf muss man erst einmal kommen.

Wenn die Bahn dann kommt, und man kann zu ihrer Ehrenrettung sagen, dass sie eigentlich ziemlich regelmäßig und ziemlich pünktlich kommt, und alle Reisenden ihre Plätze eingenommen haben, könnte Ruhe einziehen. Man könnte damit beginnen, darüber zu sinnieren, warum Verspätungen bei der Benutzung des Flugzeuges und des Autos als quasi gottgegeben hingenommen werden und im Nachhinein mit einem Gleich- und Langmut quittiert werden, die jedem buddhistischen Mönch auf der höchsten Stufe der Spiritualität zur Ehre gereichen würden - hinterher, nicht in der Phase des Ins-Lenkrad-Beißens -, während bei der Bahn Verspätungen ab zwei Minuten in nachträglichen Erzählungen zu Abenteuertrips aufgebauscht werden.

Eingependelt
Stephan Fischer pendelt. Die zurückgelegte Entfernung reicht pro Woche von Berlin bis fast auf die Lofoten und zurück, manchmal fühlt es sich an wie Paris – Rom – Erkner. Seine Erfahrungen beim Fahren: dasND.de/eingependelt

Von denen man dann, Gott sei Dank, es sei denn, man befindet sich in einem ICE, noch nicht online live berichten kann. Denn all die Klagen über die Funkloch-Republik: im Gegensatz zu vielen Verspätungsabenteuergeschichten stimmen sie. Alle. Und nun könnte ja Ruhe sein, wenn die Menschen den Zug betreten und ihre Plätze eingenommen haben. Wie gesagt, könnte. Denn dann setzt ein ausgefuchster Mechanismus aus vielen kleinen Schritten ein, der die Reisenden nicht zur Ruhe kommen lässt. Und den müssen sie auch noch schutzlos ertragen, weil es ja kein WLAN gibt, mit dessen Hilfe man sich in sein gesundheitsgefährdendes Wischgerät vor der Nase vertiefen könnte.

Aber wie sieht es nun aus, das stetige Herausreißen aus dem Ruhemodus? Das erste Rütteln an der Reisendenentspannung ist optischer und nicht akustischer Natur: Steigen die Schaffner ein, wird erst einmal das Schummerlicht durch Festbeleuchtung ersetzt. Zu diesem Zeitpunkt sitzen die meisten Reisenden bereits im Zug: Die Bahn kommt zwar, aber ihre Beschäftigten bei Weitem nicht als Erste, denn manchmal haben sie einen weiten Weg zu ihrem fahrenden Arbeitsplatz. Ist der Lichteffekt erst einmal verdaut und hat sich der Zug fast unmerklich in Bewegung gesetzt, folgt der akustische Hammerschlag: Die Begrüßung durch den Zugchef über die sehr oft viel zu laut eingestellte Bordsprechanlage: wohin man fährt, welche Zwischenhalte man einzulegen gedenkt, wie willkommen man sich an Bord des Zuges der Deutschen Bahn fühlen soll, wo das Bordbistro zu finden ist. Oder wo es zwar zu finden ist, aber aus mannigfaltigen Gründen eben heute nicht zur Verfügung steht. Polnische oder tschechische Speisewagen funktionieren übrigens immer. Dieser Sermon wird nach jedem Stopp wiederholt.

Wer dann immer noch schlummert, wird von durch den Zug laufenden Kaffeeverkäufern passiv-aggressiv fragend geweckt: »Wird hier Kaffee gewünscht?« Danke der Nachfrage - hier wird nichts als Ruhe gewünscht.

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