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Wann ist ein Antrag auf einen höheren Pflegegrad sinnvoll?

Rund um die Pflege

  • Christina Fischer
  • Lesedauer: 2 Min.

»Die Familie sollte sich das Gutachten über den Pflegegrad 1 in Ruhe ansehen. Gibt es begründete Einwände, kann man einen Widerspruch einlegen«, sagt Jana Wessel von der bundesweiten Compass Pflegeberatung. Die Widerspruchsfrist sei im Bescheid vermerkt. In der Regel betrage sie einen Monat nach Eingang des Bescheides.

Betroffene können zudem bei einer Verschlechterung ihres Zustandes einen Antrag auf einen höheren Pflegegrad stellen. Natürlich ist es für Laien in der Regel schwer einzuschätzen, welche physischen und psychischen Veränderungen möglicherweise einen höheren Pflegegrad bewirken können.

Der Pflegegrad 1 und die finanziellen Leistungen

Voraussetzung für den Pflegegrad 1 ist eine »geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit«. Mit diesem neuen Pflegegrad 1 genehmigen Pflegekassen seit dem 1. Januar 2017 körperlich und geistig noch recht beweglichen, geringfügig hilfsbedürftigen Versicherten Pflege- und Betreuungsleistungen, wenn Gutachter eine geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit festgestellt haben.

Nach dem alten System erhielten diese Menschen keinen Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung, da dieser Grad der (Un-)Selbstständigkeit nach dem alten Pflegestufensystem nicht berücksichtigt wurde.

Voraussetzung für den Pflegegrad 1 ist, dass bei gesetzlich Versicherten die Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) oder bei privat Versicherten der Gutachter von MEDICPROOF eine Mindestanzahl von 12,5 Punkten bestätigen. Das Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit berücksichtigt sechs Aktivitätsbereiche:

1. Mobilität: Wie selbstständig kann der Begutachtete zum Beispiel noch Treppen steigen oder sich selbstständig umsetzen?

2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Wie findet sich der Betroffene in seinem Alltag örtlich und zeitlich zurecht? Kann er noch selbst Entscheidungen treffen?

3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: Ist der Antragsteller nachts unruhig? Zeigen sich bei ihm motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten?

4. Selbstversorgung: Wie selbstständig ist der Antragsteller noch in Bezug auf Körperpflege, dem An- und Auskleiden und der Zubereitung von Essen und Trinken?

5. Bewältigung und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: Welche Unterstützung braucht der Antragsteller bei der Medikamenten- oder Sauerstoffgabe?

6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Kann sich der Betroffene zum Beispiel noch gut selbst beschäftigen? Pflegt er noch selbst seine sozialen Kontakte?

Für jeden der sechs Pflegegradmodule vergeben die Gutachter je nach dem Grad der Selbstständigkeit Punkte, die gewichtet und aufaddiert werden und die Zuweisung eines Pflegegrads ermöglichen. Für jeden Pflegegrad ist eine Spanne an Punkten definiert. Dabei gilt: Je höher die Punktzahl ist, desto höher ist die Beeinträchtigung und der entsprechende Pflegegrad. Voraussetzung für den Pflegegrad 1 sind zwischen 12,5 und unter 27 Punkte.

Pflegeversicherte mit dem Pflegegrad 1 haben keinen Anspruch auf Pflegegeld bei der Pflege durch Angehörige oder auf Pflegesachleistungen bei der Versorgung durch einen professionellen ambulanten Pflegedienst. Da sie ihr Leben meist noch sehr selbstständig meistern, benötigen sie in der Regel so gut wie keine Unterstützung von Angehörigen oder von professionellen Pflegekräften.

Pflegeversicherte mit anerkanntem Pflegegrad 1 haben aber Anspruch auf den »Entlastungsbeitrag« von monatlich 125 Euro für Betreuungs- und Entlastungsleistungen ihrer Pflegekasse. Mit dem Entlastungsbeitrag bei Pflegegrad 1 können Sie zum Beispiel an einer Betreuungsgruppe für leicht Hilfsbedürftige teilnehmen, die sie geistig und körperlich aktiviert, einen Alltagsbegleiter für Gespräche oder Spaziergänge oder eine Einkaufshilfe bezahlen oder Haushaltshilfen engagieren, die ihnen etwa beim Putzen der Wohnung helfen oder beschwerliche Hausarbeiten wie Gardinenwäsche übernehmen.

Hilfsbedürftige mit dem Pflegegrad 1 haben keinen generellen Anspruch auf Kurzzeitpflege. Die entsprechende Leistung bezahlt die Pflegekasse erst ab Pflegegrad 2. nd

Nimmt die Selbstständigkeit des Betroffenen ab und damit die Belastung der Angehörigen zu, empfiehlt sich ein ausführliches Gespräch mit der Pflegeberatung. Ist bereits ein ambulanter Dienst involviert, sollte man auch mit den professionellen Pflegekräften besprechen, ob die Voraussetzungen für einen höheren Pflegegrad erfüllt sein könnten. Zu verlieren hat man nichts. Der Antrag ist kostenfrei.

Jedoch können bei mehrmaliger Antragstellung innerhalb von sechs Monaten ohne Feststellung eines Pflegegrades beziehungsweise ohne dessen Veränderung unter Umständen die Kosten der Begutachtung zu Lasten des Antragstellers gehen. Unter der gebührenfreien Rufnummer (0800) 101 88 00 erhalten gesetzlich wie auch privat Versicherte weitere Informationen.

Die Pflegeversicherung ist verpflichtet, jeden Antrag zu überprüfen, gleich ob es sich um einen Erst- oder um einen Folgeantrag bei bereits vorhandenem Pflegegrad handelt. Das gilt für gesetzlich Versicherte genauso wie für privat Versicherte. Es wird ein neues Gutachten in Auftrag gegeben.

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