Sportliches Wahlziel: Besser als letztes Mal

Die Spitzenkandidaten der Linkspartei für die Brandenburger Landtagswahl am 1. September 2019 im Gespräch

Beim nd-Interview: Kathrin Dannenberg und Sebastian Walter
Beim nd-Interview: Kathrin Dannenberg und Sebastian Walter

Frau Dannenberg, Sie wurden 2010 mit dem Deutschen Lehrerpreis ausgezeichnet, nun sind Sie Spitzenkandidatin für die Landtagswahl am 1. September 2019. Ist es nicht verantwortungslos angesichts des Lehrermangels, dem Schuldienst eine ausgezeichnete Pädagogin zu entziehen?

Die beiden Spitzenkandidaten

Die 52-jährige Kathrin Dannenberg aus Calau ist von Beruf Lehrerin für die Fächer Sport, Geschichte und Lebenskunde, Ethik, Religionskunde (LER). Sie ist stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im brandenburgischen Landtag. Gemeinsam mit dem 28-jährigen DGB-Regionsgeschäftsführer Sebastian Walter aus Britz bei Eberswalde bildet Dannenberg das Spitzenkandidatenduo der Linkspartei für die Landtagswahl am 1. September 2019. Mit ihnen sprach Andreas Fritsche in der Landesgeschäftsstelle der Linkspartei in der Potsdamer Alleestraße 3.

Dannenberg: 24 Jahre lang ist der Lehrerberuf mein Leben gewesen, jetzt ist es die Politik. Und das ist gut so. Verantwortungslos wäre es, jetzt die Hände in den Schoß zu legen. Trotz großer Anstrengungen, wie Ausbau der Lehrerbildung, bessere Bezahlung und Seiteneinsteiger*innenprogramm, müssen wir in den nächsten Jahren, besonders im ländlichen Raum sowie an Grund-, Ober- und Berufsschulen, mit einem akuten Lehrermangel rechnen. Eine optimale Koordinierung und Qualifizierung und ein zentrales Rekrutierungssystem für Seiteneinsteiger*innen, um deren Eignung abzuklären, sind dringend nötig. Guter Unterricht muss in allen Regionen unseres Landes abgesichert sein. Ich möchte, dass wir zügig einen Ausbildungsstudiengang für Berufsschullehrkräfte an der Technischen Universität Cottbus in Kooperation mit der Universität Potsdam einrichten. Sie sehen, ich kann noch nicht an die Schule. Es gibt noch viel zu tun!

Walter: Etwas Besseres kann den Lehrern in Brandenburg gar nicht passieren, als dass Kathrin Dannenberg im Landtag sitzt. Noch nie hat die Politik so viel für die Lehrer getan wie in den vergangenen Jahren unter der rot-roten Koalition. Die LINKE hat sich gekümmert!

Bedanken könnte sich doch der gesamte öffentliche Dienst?

Walter: Was heißt bedanken? Ja, wir haben einiges getan, aber das hätten wir ohne den Druck der Gewerkschaften nicht durchsetzen können. Für bessere Arbeitsbedingungen der Lehrer hat die LINKE sich noch einmal besonders eingesetzt. Wir verstehen unter einem starken Staat etwas anderes als SPD und CDU. Für diese beiden Parteien bedeutet starker Staat nur starke Polizei. Für uns ist ein starker Staat dagegen allein denkbar mit einer starken öffentlichen Verwaltung. Darum haben wir den Personalabbau im öffentlichen Dienst gestoppt. Denn die Bürger haben einen Anspruch darauf, dass sich die öffentliche Verwaltung um ihre Anliegen kümmert und personell entsprechend ausgestattet ist.

Dannenberg: Auch beim Landesbetrieb Forst muss der Personalbestand künftig aufgestockt werden. Die Forstverwaltung war neben der Polizei von schmerzhaften Personalkürzungen betroffen. Das kann nicht so bleiben. Wir wollen, dass es weiterhin überall einen staatlichen Förster in der Fläche des Landes gibt.

Ich nenne einmal die Stichworte Altersarmut, Pflegenotstand, Niedriglöhne. Ist Brandenburg in den zurückliegenden Jahren weniger lebenswert geworden?

Dannenberg: Nein. In dieser Absolutheit kann ich das nicht stehen lassen. Studien zeigen uns, dass sich eine große Zahl der Bürger*innen unseres Landes wohlfühlt. Aber circa die Hälfte der Bevölkerung hat Angst vor der Zukunft, macht sich Sorgen, ob die Rente zum Leben ausreicht, und glaubt nicht, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird. Wir haben es mit einer sozialen Spaltung zu tun. Hier hat der Bund seine Hausaufgaben nicht gemacht. Allein der Armutsmindestlohn von 9,19 Euro ist eine Schande! In Brandenburg haben wir gegengesteuert: letztes Kitajahr für alle Kinder beitragsfrei, das Schüler-BAföG auf 125 Euro monatlich erhöht, das Azubiticket ab August 2019 ermöglicht, für mehr Erzieher*innen, Schulsozialarbeit und Schulkrankenschwestern gesorgt, alle Krankenhausstandorte gesichert, Ausbildungsplätze an den Pflegeschulen nach oben korrigiert, ein Hebammenprogramm auf den Weg gebracht, ein Landärzteprogramm aufgelegt, gemeinsames Lernen gefördert …

Walter: Wir müssen uns einmal vergegenwärtigen, was der Ausgangspunkt gewesen ist. Von 1990 an war das Land auf eine Schrumpfungspolitik ausgerichtet. Auch als die brandenburgische LINKE im Jahr 2009 erstmals in die Regierung eingestiegen ist, war der Zeitgeist noch ein anderer. Ständig wurde ein schlanker Staat gefordert, der möglichst wenig kosten sollte - koste es, was es wolle. Heute reden wir endlich davon, dass der Staat mehr leisten muss, damit die Menschen ohne Angst und soziale Demütigung leben können. Grundsätzlich geht es um die Rückeroberung des Öffentlichen. Die Ausverkäufe und Privatisierungen haben uns doch in eine Situation geführt, in der der Staat in wichtigen Bereichen nicht mehr steuernd eingreifen kann. Der Markt regelt eben am Ende nur die Profite der Eigentümer. Das aktuellste Beispiel ist der Wohnungsmarkt. Steigende Mieten und Verdrängungen sind nicht nur am Wohnungsmarkt in Berlin spürbar, sondern auch hier in Brandenburg. Deshalb ist es gut und richtig, dass jetzt wieder über öffentliches Eigentum geredet wird.

Die LINKE wird den Entwurf ihres Wahlprogramms in Kürze fertigstellen. Was wird drinstehen?

Walter: Die Grundrichtung bei uns wird eine andere sein als bei SPD und CDU. Während sich SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke und CDU-Fraktionschef Ingo Senftleben darum streiten, wer nach der Wahl unter dem anderen Minister wird, konzen᠆trieren wir uns auf die Inhalte. Wir machen auch keine Überbietungskampagnen mit. Wenn Ministerpräsident Woidke sagt, er halte einen Mindestlohn von 13 Euro die Stunde ab 2024 für angemessen - wohlgemerkt wird das bis dahin keine ausreichende Vergütung mehr sein -, dann kann ich nur fragen: Warum ist die SPD nicht bereit gewesen, mit uns jetzt schon wenigstens zwölf Euro Stundenlohn im brandenburgischen Vergabegesetz als Bedingung für den Zuschlag bei öffentlichen Aufträgen zu beschließen. Die LINKE sagt jetzt nicht, wir wollen 14 Euro oder 15 Euro Stundenlohn. Wir sagen: Der Lohn muss ausreichen, um später eine armutsfeste Rente zu bekommen.

Was verspricht die LINKE im Wahlprogramm?

Walter: Wir werden die Frage stellen: Wem gehört das Land? Diese Frage muss von den Brandenburgerinnen und Brandenburgern beantwortet werden. Wir wollen Zukunft gestalten, sie kommt ja nicht einfach über uns. Aber das können wir nur dann, wenn wir auch als Gesellschaft etwas zu entscheiden haben und nicht alles privatisiert ist. Zum Beispiel wird die LINKE in ihrem Wahlprogramm eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft fordern. Wenn nicht alle Fördermittel des Landes für den sozialen Wohnungsbau abgerufen werden, dann sind die bestehenden privaten und kommunalen Wohnungsunternehmen sowie die Genossenschaften offensichtlich nicht in der Lage, überall für die notwendigen Sozialwohnungen zu sorgen. Zum Beispiel wehrt sich der Bürgermeister der Gemeinde Schönefeld gegen den Sozialwohnungsbau, weil er keine Hartz-IV-Empfänger »anlocken« möchte. Wir sind aber für eine soziale Durchmischung: Jeder soll da leben können, wo er oder sie es will.

Außerdem schlagen wir im Wahlprogramm eine Privatisierungsbremse vor. Landeseigentum soll nicht mehr verkauft werden. Eine Ausnahme würden wir zum Beispiel zulassen, wenn eine Kommune um ein Grundstück des Landes bittet, um dort eine Kita oder eine Schule zu bauen. Bei einem Verkauf an eine Kommune bliebe das Gelände aber auch in öffentlicher Hand.

Wir möchten die Zukunft so gestalten, dass niemand zurückbleibt. Dazu gehört auch eine weitergehende Hilfe für die 20 Prozent hoch verschuldeter Kommunen in Brandenburg. Sicher ist die finanzielle Schieflage in einigen Städten und Gemeinden durch Fehlentscheidungen der Kommunalpolitik zum Teil selbstverschuldet. Doch was können der Jugendliche und die Rentnerin dafür, dass sie deswegen in ihrem Heimatort keinen Jugendclub und keinen Seniorentreff vorfinden?

Dannenberg: Wir wollen unsere Gesellschaft sozialer und gerechter gestalten. Dafür waren und sind wir die Triebkraft in diesem Land. Wir wollen die Beitragsfreiheit in der Kita und im Hort weiter ausbauen und ein neues Kitagesetz auf den Weg bringen, damit endlich - besonders für die Eltern - Rechtssicherheit besteht. Es gibt Kinder und Jugendliche in diesem Land, die nicht Mittag essen, weil Eltern es nicht bezahlen können. Das kann nicht sein! In den Landkreisen kämpfen wir für freie Schülerbeförderung. Das lange gemeinsame Lernen - die Gemeinschaftsschule von Klasse 1 bis 10 beziehungsweise 13 - werden wir weiter ausbauen, um allen Kindern und Jugendlichen gleiche Bildungschancen zu ermöglichen. Sie soll die Regel sein, nicht mehr die Ausnahme. Wir schließen keine Schulstandorte. Wir freuen uns, dass gerade die SPD und die CDU diese linken Forderungen in ihre Wahlprogramme aufgenommen haben. LINKS wirkt also.

Perspektivisch ist die SPD ebenso dafür, dass Bildung von der Kita bis zum Universitätsabschluss kostenfrei ist - inklusive der Schülerbeförderung. Ist die SPD mit solchen inhaltlichen Überschneidungen der ideale Koalitionspartner?

Walter: Perspektivisch ist die SPD auch für den demokratischen Sozialismus, nur wird bei ihr nie etwas daraus. Die SPD erhebt in der Theorie soziale Forderungen, in der Praxis will sie das Polizeigesetz verschärfen, und wir müssen dann das Schlimmste verhindern, was uns Gott sei Dank gelungen ist. Wir schauen uns nach der Wahl an, wer glaubwürdig ist. Nur, wenn die SPD es ernst meint, ist sie der Partner für uns.

Können Sie sich vorstellen, dass die Basis der Linkspartei eine Koalition mit der CDU akzeptieren würde, ohne dass dies nötig ist, um die AfD von der Regierung fernzuhalten?

Dannenberg: Ich glaube, unsere Mitglieder werden am ehesten eine Koalition akzeptieren, in der wir unsere Ziele und Projekte für ein sozialeres Brandenburg möglichst umfassend durchsetzen können. Dafür sind Debatten über mögliche Partner fünf Monate vor der Wahl wenig dienlich. Wir haben klare Vorstellungen formuliert, für die wir antreten. Und wir werden für die Umsetzung dieser Vorstellungen mit aller Kraft streiten, bis zum 1. September, aber auch danach! Dafür müssen wir selbst so stark wie möglich werden.

Wir stark wäre das in Prozenten ausgedrückt?

Dannenberg: Da lassen wir uns keine Zahl entlocken. Auf jeden Fall wollen wir stärker werden als bei der Wahl 2014, als die LINKE 18,6 Prozent erzielt hatte.

Bei zuletzt 17 oder sogar nur 16 Prozent in den Prognosen der Meinungsforschungsinstitute ist das ein sportliches Ziel.

Dannenberg: Ich bin Sportlerin. Wir werden kämpfen.

Falls die LINKE wider Erwarten stärkste Kraft werden würde, wer von Ihnen würde dann Ministerpräsident werden?

Walter: In der Staatskanzlei ist Platz für uns beide. Aber im Ernst. Die Frage ist doch nicht, wer in einer Regierung welches Amt übernimmt. Das lenkt im Wahlkampf nur von den Inhalten ab, und die sind am Ende entscheidend. Wir machen Politik nicht, um am Ende Sessel zu verteilen, sondern real für die Menschen etwas besser zu machen.

Dannenberg: Ich werde es mir verkneifen, solche Diskussionen zu führen. Wir gewinnen die Herzen der Menschen nur, wenn wir authentisch bleiben, kompetent arbeiten und vor allem mit den Menschen reden, ihre Sorgen ernst nehmen, uns kümmern und Wege aufzeigen. Darauf kommt es uns an.

Im Jahr 2019 steht das 30-jährige Jubiläum des Mauerfalls an. Wie geht die LINKE im Wahlkampf damit um?

Walter: Ich bin 1990 geboren, einige Monate nach dem Mauerfall und ein halbes Jahr vor dem Ende der DDR. Ich habe mit der DDR eigentlich nichts zu tun; ich habe persönlich keine negativen Erfahrungen mit der Treuhandanstalt, mit der Privatisierung der ostdeutschen Betriebe nach der Wende gemacht. Aber es wirkt nach. Ich habe Freunde im Osten, die verdienen weniger Geld, obwohl sie mehr arbeiten als meine Freunde, die in den Westen gegangen sind. 30 Jahre ist die Wende her, und es gibt diese Ungerechtigkeit weiterhin. Wir können nicht noch einmal 30 Jahre abwarten, ob sich etwas bessert. Wir sehen doch, dass der Nachbau West im Osten gescheitert ist.

Wie weit sollten wir Ihrer Ansicht nach nach weiteren 30 Jahren sein?

Walter: In 30 Jahren sollte nicht allein Deutschland keine Lohnmauer mehr trennen. In 30 Jahren sollten wir ein geeintes Europa haben. Wir müssen endlich handeln. Es ist okay für uns, dass die SPD jetzt die Pro᠆bleme lösen will, die sie mit verursacht hat. Wir haben dazu weitergehende Vorschläge.

Dannenberg: Brandenburg hat sich in den zurückliegenden zehn Jahren gut entwickelt, und davon müssen alle in allen Regionen unseres Landes profitieren können. Gerechte Löhne, die ein gutes Leben ermöglichen und vor Armut im Alter schützen, gleicher Zugang zu Bildung, unabhängig von den Voraussetzungen und der Herkunft unserer Kinder, eine wohnortnahe gute gesundheitliche Versorgung und Pflege, bezahlbare Mieten und ein Öffentlicher Personennahverkehr, der an die Bedürfnisse der Menschen angepasst ist - nicht erst in 30 Jahren, sondern schnell! Das ist unser Ziel. Dafür hat DIE LINKE konkrete Vorschläge.

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