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Trendsetter Osteuropa

Das rechte Lager ist auf dem Vormarsch, doch die stärkste politische Kraft sind die Nichtwähler

  • Felix Jaitner
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Wahlbeteiligung übertraf am Ende alle Vorhersagen. Ganze 28,7 Prozent der Wahlberechtigten gingen in Tschechien zu den Urnen. Das ist mehr als bei allen vorherigen Europawahlen seit dem EU-Beitritt 2004. Auch sonst liegt Tschechien im Trend der übrigen Visegrád-Staaten: Die Rechte gewinnt, das linke Lager verliert immer mehr an Bedeutung und trotz der vermeldeten Rekorde bleibt die Wahlbeteiligung besorgniserregend niedrig.

Klare Wahlsiegerin ist die neoliberal-rechte ANO von Ministerpräsident Andrej Babiš, die sechs der insgesamt 21 tschechischen Sitze im EU-Parlament gewann. Auf den weiteren Plätzen folgen die liberal-konservativen Bürgerdemokraten (ODS) mit vier und die Piratenpartei mit drei Sitzen. Die extrem rechte Freiheit und direkte Demokratie (SPD) holte zwei Mandate.

Eine schwere Niederlage erlitt die sozialdemokratische ČSSD. Der Koalitionspartner der ANO konnte kein einziges der bisherigen vier Mandate verteidigen. Das Ergebnis sei ein harter Schlag und schmerzhaft, teilte der Parteivorsitzende Jan Hamáček am Sonntag mit. Die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSČM) verlor knapp fünf Prozent und schickt künftig nur noch einen Abgeordneten nach Brüssel - ein klares Votum der Wähler gegen die Tolerierung der Babiš-Regierung durch die Kommunisten.

Auch in der Slowakei bestätigt sich der europäische Rechtsruck, allerdings unter anderen Vorzeichen. Nach dem Mord an dem Journalisten Jan Kuciak im Februar 2018 und den Enthüllungen über Mafiastrukturen im Staat befindet sich das Parteiensystem im Land im Umbruch. Wahlsiegerin mit 20 Prozent ist die sozial-konservative PS-Spolu, ein Bündnis aus zwei EU-freundlichen Parteien, das der im März gewählten Präsidentin Zuzana Čaputová nahesteht. Die sozialdemokratische SMER von Premierminister Peter Pellegrini erzielte mit nur knapp 16 Prozent ihr schlechtestes Wahlergebnis seit Jahren. Ihre Koalitionspartner, die rechtsnationale SNS und die Partei der ungarischen Minderheit Most-Hid, verpassten den Sprung ins Parlament. Dafür wurde die neonazistische L´SNS mit zwölf Prozent drittstärkste Partei und erhält zwei Sitze.

Ein noch deutlicheres Misstrauensvotum als der Erfolg der Rechtsparteien, ist die niedrige Wahlbeteiligung in der Slowakei. Zwar stieg sie im Vergleich zu 2014 - dem EU-weiten Rekordtiefstand - von 13 auf knapp 23 Prozent. Allerdings handelt es sich um den niedrigsten Wert aller Visegrád-Staaten.

In Polen gewann die national-konservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit 45,5 Prozent deutlich. Die oppositionelle Europäische Koalition, ein Parteienbündnis um die liberale Bürgerplattform (PO), holte 38 Prozent. Drittstärkste Partei wurde mit sechs Prozent die linksliberale Wiosna. Das extrem Rechte Wahlbündnis »Konföderation« scheiterte dagegen knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Die Wahlbeteiligung lag mit 45,6 Prozent zwar höher als in Tschechien und der Slowakei, aber unter dem EU-Durchschnitt von 50 Prozent.

Der Wahlerfolg der PiS ist nicht nur ein Votum für die Politik im Innern, sondern auch ein deutliches Signal nach Brüssel. Die EU-Kommission wirft der Regierung vor, die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben und hat inzwischen drei Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. Die PiS weist dies als Einmischung in die inneren Angelegenheiten zurück. Nach Ansicht des Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments und PiS-Mitglieds Zdzisław Krasnodębski verfolgt Brüssel »eher politische als rechtliche« Motive. Es gehe darum, so Krasnodębski in einem Interview für den »Cicero«, »an Polen ein Exempel« zu statuieren. Der Soziologieprofessor der Universität Bremen ist ein wichtiger intellektueller Vordenker der Partei und findet, dass Polen als EU-Mitglied zweiter Klasse behandelt wird - eine Sichtweise, die in immer mehr osteuropäischen Mitgliedsstaaten geteilt wird, so auch in Ungarn.

Die rechtsnationale Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orban hetzt nicht nur gegen Flüchtlinge oder den jüdischen US-Milliardär George Soros, sie kritisiert auch die starke ökonomische Abhängigkeit des Landes vom EU-Zentrum. Bei den EU-Wahlen erhielt Fidesz 52 Prozent der Stimmen (2014: 51 Prozent) beziehungsweise 13 der 21 ungarischen Mandate. Auf den zweiten Platz kam mit 16 Prozent der Stimmen die sozialliberale Demokratische Koalition (DK) des ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany. Die liberale pro-europäische Partei Momentum erhielt zehn Prozent. Die bislang führenden Oppositionsparteien, die sozialdemokratische MSZP und die rechtsradikale Jobbik, landeten mit 6,7 beziehungsweise 6,4 Prozent abgeschlagen auf den hinteren Rängen. Genau wie in Tschechien wurde mit 43 Prozent eine Rekordwahlbeteiligung erreicht (2014: 29 Prozent).

In Osteuropa positionieren sich die rechten Parteien - zumindest rhetorisch - klar gegen die Folgen der kapitalistischen Transformation der 1990er Jahre. »Für uns war die zentrale Frage, wer den Protest gegen all die mächtigen Aspekte der ökonomischen Reform artikulieren und politisch nutzen würde«, sagte Jaroslaw Kaczynski, die graue Eminenz der PiS.

Der EU-Beitritt hat die soziale Ungleichheit und die regionalen Entwicklungsgegensätze sogar noch verstärkt. Dies verschaffte dem EU-kritischen rechten Lager wachsenden Rückhalt unter den Transformationsverlierern, zumal die Sozialdemokratie in Polen, Ungarn und Tschechien den neoliberalen Umbau der Gesellschaft in der Regierung aktiv mit vorantrieb. Damit werden die Visegrad-Staaten zum Trendsetter: Während in der alten EU die Rechten erst seit wenigen Jahren Erfolge feiern, konsolidieren sie sich in den neuen Mitgliedsstaaten erfolgreich in der Regierung.

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