Auf Gräbern gebaut

Am Bonner Schauspielhaus greift Volker Lösch mit »House of Horror« die »MeToo«-Debatte auf

  • Glenn Jäger
  • Lesedauer: 5 Min.

An eine »gläserne Decke« würden Frauen am Theater oft stoßen, wenn es um die Besetzung höherer Positionen gehe, sagte Nicola Bramkamp kürzlich. Der Anlass: Am 17. Mai eröffnete die ehemalige Bonner Schauspieldirektorin mit vier anderen Frauen die Konferenz »Burning Issues« als Teil des Berliner Theatertreffens. Es ging um »brennende Themen« wie patriarchale Strukturen am Theater, Machtmissbrauch oder Lohngerechtigkeit. Solche Fragen brachte Bramkamp bereits in ihrer Zeit am Theater Bonn (2013-2018) engagiert ein, und so erscheint das Stück »House of Horrors« in Regie von Volker Lösch wie das Vermächtnis einer der seltenen Frauen in der Position einer Theaterleitung.

»Theater. Macht. Frauen« lautet der Untertitel dieses Stücks, eine Anspielung auf den Bestseller »Frauen & Macht« von Mary Beard. Die abendländische Kultur sei »seit Jahrtausenden geübt darin, Frauen den Mund zu verbieten«, schreibt die Althistorikerin. Abgeklopft wird der Kanon seit der römischen und griechischen Antike, es geht um Vergewaltigungen, Ermordungen und abgeschnittene Zungen. Denn »so weit wir in der westlichen Geschichte zurückschauen können«, gebe es eine »Separierung von Frauen von der Macht«.

Das ist die richtige Folie für Christine Lang und Volker Lösch, die den Text für »House of Horror« verfassten. Sie wollen ein »kulturelles Gedächtnis« des Theaters aufzeigen, »das voll mit toten und vergewaltigten Frauen« sei, sagte Lösch im Deutschlandfunk. Und wenn sie nicht ermordet oder versklavt wurden, so endeten sie in Verzweiflung, im Wahn, im Selbstmord. Frauenrollen, die immer und immer wieder gespielt werden. Kanon eben.

Einige klassische Szenen werden in »House of Horror« aufgegriffen, um Machtstrukturen bloßzulegen. Ein belesenes Publikum versteht manche Anspielung besser, doch beruhigend ist: Man muss Homer, Ovid und Co. nicht verinnerlicht haben, um dem Stück folgen zu können. Zumal es sich, wie gewettert wird, um einen »verfickten Kanon« handelt.

Das Bühnenbild (Julia Kurzweg) ist so einfach wie genial: eine überdimensionale Couch. Eine Requisite zum Austoben, vor allem wenn man Regisseur ist und Schauspielerinnen aburteilt: »Fürs Gretchen zu alt!«; »Ich will keine Kampflesbe sehen!«; »Lydia, gib dich hin. Daniel, du hast Eier aus Stahl.« Bald wird eine Vergewaltigungsszene aus Shakespeares »Titus Andronicus« auf Couch und Bretter gebracht. Die Erniedrigung der Lavinia paart sich mit physischem und psychischem Schmerz der Schauspielerin (ausgezeichnet: Lydia Stäubli). Sie begehrt auf gegen den Regisseur, gegen die Rolle, gegen diese Art von Theater: »Ihr wollt Gewalt darstellen und tut mir Gewalt an.« Sie pfeift auf die Rolle, doch mit Birte und Sandrine springen die nächsten Akteurinnen ein, sie geben sich hin - und werden von der Bühne verschluckt. Ein Handlungsstrang, der in den Keller, den Abgrund, das Unterbewusstsein des Hauses führt, zu verfolgen über einen eigens gedrehten Film. Hier begegnen sie den Lucretias, Antigones, Penelopes, denen in den Häusern dieser Welt all der Horror widerfahren ist. Auf deren »Gräbern das Theater gebaut« ist.

Fließend wechselt die Frage nach den Machtstrukturen am Theater zu der nach denen in der Gesellschaft. Chorisch werden Fakten präsentiert: 2017 wurden in Deutschland 114 000 Frauen »von ihren Partnern bedroht, gestalkt, eingesperrt, geschlagen, vergewaltigt, verbrüht, gewürgt, mit der Axt oder einem Messer traktiert«. Als wäre man im Theater: nur »Familientragödien«, »Eifersuchtsdramen«. Zur Sprache kommen bedrückende Geschichten - für Frauen Alltag: Nachstellungen, Übergriffe, Missbrauch. Auf der Arbeit, auf der Straße, in der Familie. Hierfür treten sechs hervorragende Laienschauspielerinnen auf. Gekonnte Darbietung von umfangreichem Text, sicher vorgetragen in Zweier-, Dreier-, Sechserchören. »Die habe ich vor vier Wochen das erste Mal zur Probe gesehen«, sagte Volker Lösch nach dem Stück.

Politische Fragen reichen von Einsparungen bei Bonner Frauenhäusern bis zum Patriarchat als »Skelett des Kapitalismus«. Bei so viel Tacheles ist zu verschmerzen, dass der Film aus den Katakomben des Theaters seine Längen hat. Die streitbarste Szene daraus: Auch Bertolt Brecht gerät unter die Räder. Mit Frauen, die für ihn Stücke schreiben und es ihm, abgefüllt mit Viagra, abwechselnd besorgen. Breloer lässt grüßen.

Auf der Bühne gelingt die Rettung der Kolleginnen Birte und Sandrine. Ob Laiin oder nicht: Am Ende wird getanzt. Dabei gibt es, ganz Lösch, Gegenentwürfe. In Zukunft abgeschafft sind: Soldatentum, Kriege, Profitwirtschaft, Armut, Geschlechterzuschreibungen, Sexismus und Patriarchat. Lang anhaltender Applaus, den die Lokalpresse als »freundlich« abtun wird.

Auf die Premierenfeier wird eine Losung von der Bühne mitgenommen: Ein gutes Stück sei nicht mit dem Applaus vorbei, sondern erst, wenn du dich beherzt darüber austauschst. »Ein Tick zu viel Agitprop«, warf jemand ein. Gegenargument: »Gut, dass es das wieder gibt.« Nächster Einwand: Die Ästhetik des Films aus dem Keller. »O. k., aber die Schwanznase hatte schon ihre Komik.« Zuletzt die Brecht-Szene. Die Verteidigung: »Der war aber auch ein Finger …« Der Konter: »Du kannst nicht Autor und Werk trennen, schon gar nicht bei Brecht. Die Stelle war Zeitgeist, obwohl der Abend doch gegen den Geist der Zeiten focht.«

Die Diskussion flammte wieder ab, es ging mehr um das Ende eines Stücks, das an den Grundfesten rüttelt. Oder: das aufgibt, an ihnen zu rütteln. Auch wenn die Decken gläsern sind.

Nächste Vorstellungen am 6., 16., 19., 22. und 29. Juni.

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