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Die Vulgarität von Sandwiches

Die Ausstellung »Food for the Eyes« im C/O Berlin zeigt die Wandlungen in der Darstellung des Essens durch die Fotografie.

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Auge isst mit. Das wussten bereits antike Mosaikkünstler, die Böden und Wände mit Obst und Gemüse sowie manchem zu jagenden Tier schmückten. Köche wussten es, die ihre Gerichte auch nach optischen Kriterien komponierten, und erst recht die Arrangeure von Festtafeln.

Welche Rolle die Inszenierung von Essen in der Fotografie spielte, erkundet nun die Ausstellung »Food for the Eyes. Die Geschichte des Essens in der Fotografie«. Sie ist in die drei Kapitel Stillleben, Around the Table und Playing with Food unterteilt. Stillleben enthält vor allem Arrangements von Nahrungsmitteln für Werbezwecke. Teller und Schalen, mal gehäuft, mal nur sparsam bestückt, werden harmonisch angerichtet. Als eine besondere, weil sehr strenge Position fällt dabei Carl Kleiners legendärer Beitrag für das IKEA-Kochbuch »Home Made is Best« auf. In radikaler Klarheit und konstruktivistischer Raffinesse baute der schwedische Werbefotograf Pfeile und Linien, Quader, Pyramiden und runde Objekte aus Mehl und Zucker, Butter und Öl und formte daraus geometrische Konstellationen.

Ähnlich ging die US-amerikanische Konzeptkünstlerin Sandy Skoglund bei ihrem Arrangement aus Erbsen vor. Während Kleiner Platz zwischen seinen Objekten aus Essenszutaten ließ und die Gesamtwirkung sich vor allem durch Abstände und Positionen der einzelnen Bestandteile ergibt, füllt Skoglund ein im Bildzentrum gelegenes Quadrat dicht an dicht mit den grünen Kugeln und setzt das Erbsenmuster dann mit gemalten andersfarbigen Kreisen fort.

Eine besonders radikale Arbeit, die eigentlich besser in das Kapitel »Playing with Food« gepasst hätte, stammt von Harold »Doc« Edgerton. Edgerton, von Hause aus Elektroingenieur, entwickelte maßgeblich die Hochgeschwindigkeitsfotografie. Damit war er in der Lage, den Durchschuss eines Apfels mit einer Pistolenkugel in allen Details zu dokumentieren. »Bullet through Apple« zeigt in einer Seitenperspektive den Einschlagskrater und die Austrittswolke, die das Projektil verursachte. Edgertons Arbeiten waren - das verrät die Ausstellung nicht, die überhaupt nur sehr sparsam mit biografischen Angaben ist - auch für die Aufzeichnung recht grausiger Spektakel wichtig: Er entwickelte die Rapatronic-Kamera, mit der die einzelnen Phasen einer Atombombenexplosion sehr präzise aufgezeichnet werden konnten.

Ein Naturwissenschaftler, eine Konzeptkünstlerin und ein Werbefotograf - schon allein diese Auswahl signalisiert, wie unterschiedlich die Zugänge zu dem ins Bild gesetzten Essen sein können.

Im Kapitel »Playing with Food« sind die Künstler weitgehend unter sich. Sie nähern sich vor allem satirisch, mitunter auch subversiv dem Essen und den Nahrungsmitteln. Der Brasilianer Vik Muniz kopierte etwa Andy Warhols Mona-Lisa-Siebdruck mit Erdnussbutter und Marmelade. Der Fotograf Chris Maggio setzte der Ästhetisierung des Essens seine Serie »Male Chefs Thanksgiving« entgegen. Darin komponiert er Mahlzeiten, wie sie sich womöglich alleinstehende ältere Männer ohne jegliche Bedienungskompetenz für Kochplatten und Küchenmesser aus allerschäbigsten Fertiggerichten zusammenstellen würden; es ist das prollige Kontrastprogramm zur Feinschmecker-Welt.

Von feministischer Wut auf das Rollenbild der Frau in den Kochsendungen der 1970er Jahre ist Martha Roslers Performance »Semiotics of the Kitchen« geprägt. Mit zunehmendem Zorn stellt sie einzelne Küchengeräte vor, wandelt sie dabei immer mehr in Waffen um und macht so einen Weg der Selbstbefreiung aus der Küchenzelle auf.

Hank Willis Thomas wiederum entfernt in seiner Serie »Unbranding« von Werbefotos aus den 1970er Jahren alle Aufschriften. Man ist nun direkt der Vulgarität von Sandwiches in sich hineinstopfenden Männern ausgeliefert; Willis Thomas nutzt dieses »Unbranding« auch, um auf damalige Darstellungen afroamerikanischer Menschen hinzuweisen und eben die Versuche der Werbeindustrie, sie über diese Darstellungen auch zu erreichen. Der Künstler erinnert daran, dass Essen immer auch eine soziale Dimension hat, nicht nur eine ästhetische.

Im Kapitel »Around the Table« hätte die Ausstellung diese Dimension wunderbar weiter erkunden können, mit Bildern von Menschengruppen an Tischen, mit Aufnahmen von Schlangen an den Berliner Tafeln und vom Gewühl bei der Verteilung von Notrationen in Flüchtlingscamps. Die Kuratorinnen Susan Bright und Denise Wolff blieben aber in ihrem ästhetisierenden Ghetto und steuerten in diesem Kapitel lieber malerische Picknickfotos von Fotografiestars wie Nan Goldin bei. Eine verpasste Gelegenheit.

Insgesamt gibt die Ausstellung allerdings einen guten Überblick über den Wandel der Darstellung von Essen und über künstlerische Strategien im Umgang mit Esskulturen und Nahrungsmitteln. Sie ist zudem mit einem umfangreichen Begleitprogramm aus Führungen, Kochshows und Künstlerkochen versehen.

»Food for the Eyes. Die Geschichte des Essens in der Fotografie«, bis 7.9., C/O Berlin Foundation, Amerika-Haus, Hardenbergstraße 22-24, Berlin

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