Protest gegen tödliche Flüchtlingsabwehr

Seebrücke-Demos: 30 000 auf der Straße für Rechte Geflüchteter und gegen Kriminalisierung von Rettern

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 3 Min.

Kapitänin Carola Rackete ist vorerst frei. Doch die Kriminalisierung ziviler Seenotretter geht weiter. Auch deshalb haben am Samstag nach Veranstalterangaben bundesweit rund 30 000 Menschen für eine solidarische Flüchtlingspolitik der EU demonstriert.

Rund ein Jahr ist es her, dass Zehntausende erstmals mit Rettungswesten, orangefarbenen Tüchern und Transparenten ihre Solidarität mit Geflüchteten ausdrückten und dagegen protestierten, dass die EU im Mittelmeer Menschen sterben lässt.

Anlässlich der Verhaftung von Rackete vor einer Woche rief die Initiative Seebrücke erneut zu Demonstrationen auf. Daraufhin meldeten Aktive in 90 Städten von Aachen bis Zwickau Kundgebungen unter dem Motto »Notstand der Menschlichkeit« an - für die Rechte von Geflüchteten und in Solidarität mit Rackete, die Gerettete gegen die Anweisung der Behörden in Italien an Land gebracht hatte. Sie wurde zwar aus dem Hausarrest entlassen, doch droht ihr nach einem Gerichtsverfahren eine Gefängnisstrafe.

Allein in Berlin kamen laut Seebrücke rund 5500 Menschen zusammen. Die bundesweit gute Beteiligung sei ein »Riesenerfolg«, sagte Seebrücke-Sprecherin Liza Pflaum dem »nd«. Neben der Forderung nach einer solidarischen Gesellschaft hat sie auch eine ganz konkrete: »Deutschland muss vorerst alle Menschen aufnehmen, die übers Mittelmeer kommen.« Immer noch werde sowohl in der Bundesrepublik als auch in anderen Ländern »auf Abschottung gesetzt«, moniert Pflaum. Dem wolle man entgegentreten. Carola Rackete sei dabei zum Vorbild ihrer Bewegung geworden. »Sie hat das einzig Richtige getan«, ist Pflaum überzeugt. Sie hofft, dass weitere Kapitän*innen so handeln und »menschenfeindliche Gesetze« brechen.

Über die dramatische Lage Geflüchteter in libyschen Internierungslagern sprach auf der Berliner Auftaktkundgebung ein Vertreter der Organisation »Ärzte ohne Grenzen«. Sie fordert wie die Vereinten Nationen die EU seit langem auf, nicht mehr mit den »Küstenwache« genannten libyschen Milizen zusammenzuarbeiten. »Die Situation in diesen Lagern ist komplett inakzeptabel«, sagte der Arzt. In einem Camp habe er 40 verzweifelte Frauen angetroffen, die ihn um Hilfe angefleht hätten. Sie seien höchstwahrscheinlich Opfer sexualisierter Gewalt und litten unter Hautkrankheiten. Die sanitäre Situation in diesem »legalen« Lager sei unzumutbar. Noch schlimmer sei es in illegalen Einrichtungen, die von Milizen beherrscht werden. Folter sei dort an der Tagesordnung. »Diese Menschen müssen in ein sicheres Land gebracht werden«, forderte der Mediziner.

Ein Vertreter des Bündnisses »Moabit hilft« schilderte die schrecklichen Erfahrungen Geflüchteter: Schlepper, die mit der Not der Menschen viel Geld machen, hätten geraten, Boote auf hoher See zu zerstechen, um gerettet zu werden. Viele hätten mit ansehen müssen, wie andere ertrinken und zugleich Todesangst erlebt. »Wären sie nicht da gewesen, ich wäre tot«, sagt einer der von zivilen Helfern Geretteten auf der Demo.

Gegen diese Zustände wendet sich vor allem die Zivilgesellschaft. In Italien öffnen Bürgermeister*innen ihre Häfen für Boote und sind somit die Speerspitze gegen die Abschottungspolitik von Außenminister Matteo Salvini. Auch in Deutschland haben sich zahlreiche Städte bereiterklärt, Geflüchtete aufzunehmen. »Aber das Innenministerium blockiert das«, beklagt Liza Pflaum.

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