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Fremde Federn
Verbannt die Cowboys, nicht die Indianer!
Mit Federhaube und Friedenspfeife reitet er seit 200 Jahren durch die Prärie: »Der Indianer« war lange eines der prominentesten Motive in Kinderspielen und Abenteuerliteratur und ist bis heute präsent. Und - natürlich - ist er zuerst eine Fiktion, die mehr über uns sagt als über Leben und Geschichte der Indigenen Amerikas.
Das beginnt mit der »Prärie«: eine Verengung auf nomadische Gruppen in den Großen Ebenen, keineswegs typisch für die indigene Bevölkerung des Doppelkontinents. Es geht weiter mit dem Reiten: Entgegen allen Geschichten vom geborenen Pferdeflüsterer wurde der »Mustang« von den Kolonisatoren eingeschleppt. Seine Ausbreitung hat Wirtschaftsweisen und Sozialstrukturen jener nomadischen Gruppen, die wir »Indianer« nennen, umgewälzt. Auch das verbreitete Bild der schmerzverachtenden, besonders »mannhaften« Maskulinität ist Projektion: Tatsächlich kannten die Indigenen zumindest vor dem Kontakt mit den Weißen drei bis fünf Geschlechterrollen.
All das ist müßig festzustellen. Es ist ja konstitutiv für ein populäres Genre wie den Indianerroman, dass er hauptsächlich von seinem Publikum spricht. Er illustriert einen romantischen Eskapismus im entzauberten 19. und 20. Jahrhundert. Wäre es anders, existierte er so wenig wie die Ritterliteratur, die ja auch kein realistisches Mittelalterbild zeichnet, sondern die Lokaltyrannen des Hochfeudalismus als noble Lichtgestalten zwecks Ehre, Minne und gemeinnütziger Drachentöterei umherreiten lässt.
Im Fall des »Indianers« ist nun die Diskrepanz zwischen historisierender Fiktion und wirklicher Geschichte auch hierzulande Gegenstand eines halbjährlich aufgeführten Kulturkampfes. Zu Fasching und zum Start der diversen Karl-May-Bühnenfestivals im Sommer wird aus einem Raum zwischen Wissenschaft und Aktivismus die Forderung erhoben, diesen Griff zu den fremden Federn zu unterlassen.
Die stereotype Indianerei, heißt es, verbreite falsche Vorstellungen. Sie verzerre Vergangenheit wie Gegenwart der wirklichen Indigenen und bemäntle den kolonialen Genozid. Sie missbrauche die Geschichte Unterdrückter zu eigenen Zwecken - eine koloniale, rassistische Haltung. Die Apologie geht dagegen so: Es erhebe niemand den Anspruch auf Geschichtslektionen. Winnetou, der deutsche »Indianer« schlechthin, sei eine Märchenfigur wie Harry Potter. Wozu also die künstliche Aufregung?
Dieses Argument hebt sich von jener folkloristischen Unbeirrtheit ab, die etwa die Segeberger Karl-May-Festspiele noch 2000 veranlasste, der früheren Treuhand- und damaligen Expo-Chefin Birgit Breuel eine »Ehrenhäuptlingswürde« zu verleihen - im Kontext einer »Weltausstellung«. Zu überzeugen vermag es dennoch nicht. Winnetou ist kein kleiner Zauberlehrling. Die Geschichten um ihn beziehen Handlung und Spannung aus einer »geschichtlichen« Verortung. Fast sein ganzes Leben behauptete Karl May, er sei eine historische Figur - und jedes Publikum versteht ihn als einen der »Indianer«, die einst Amerika bewohnten, bis sie, besiegt und verdrängt, irgendwie »ausstarben«.
Und auch zu jenen Rittergeschichten besteht ein Unterschied: Während die geharnischte Klassenfraktion samt ihren Opfern vor Jahrhunderten verschwand, fand der Genozid an den nordamerikanischen Indigenen vor wenigen Generationen statt - und ist dort nicht präsent, aber gegenwärtig.
Das gilt nicht nur für die diskriminierenden Bedingungen, unter denen heute nordamerikanische Indigene leben. Das ganze Land wäre ohne den Völkermord anders. Es lassen sich nicht nur die bizarre Waffenkultur und der Kult des »Pioniergeistes« auf diese verdrängte Gewaltgeschichte beziehen, sondern auch die wirtschaftsliberale DNA: Stets Land »verteilen« zu können, milderte im 19. Jahrhundert die Dringlichkeit erster Klassenkompromisse, wie sie die Industrialisierung der alten Welt aufdrängte. Über den Gräbern des Bürgerkriegs einigten sich Nord und Süd auf die »Erschließung« des »Westens«. Sexuelle Gewalt war endemisch. Andrea Smith hat darüber ein bedrückendes akademisches Buch geschrieben.
Was aber sagt das über Winnetou? Konkret führen seine Jäger zwei Argumente an. Das erste ist ein »identitäres«: Der grausame Hintergrund begründe ein Eigentumsverhältnis an Bildern des »Indianischen«: Solange »auch nur eine Person« sich von dem Mummenschanz »verletzt« fühle, lehrt zu Fasching der nd-Blog »Supernova«, sei derselbe selbst Gewalt. Der zweite Punkt ist eine literaturtheoretische Unterstellung: Es sei nicht zu Empathie für echte Indigene fähig, wer den fiktiven verfallen sei.
Wozu jenes Identitätsargument führen kann, zeigt peinlich die erwähnte Andrea Smith. Offenbar glaubte die vorzügliche Historikerin, sie könne oder dürfe nicht über den Kolonialgenozid schreiben, ohne sich eine indigene Identität anzudichten. Und stimmt das zweite Argument? Sind die Stereotype der Indianergeschichten ein Gift ohne Antidot? Kann, wer sie verschlang und spielte, kein Interesse für den echten »Wilden Westen« haben? In der DDR gab es eine Subkultur, die sich zu »indianischem« Leben traf: kleine Fluchten in einem engen Land. Doch die Realität war dabei nicht egal: So nahm man großen Anteil am Fall des 1977 fragwürdig abgeurteilten Anführers des »American Indian Movement«, Leonard Peltier.
Töten Klischees echtes Interesse?
Ist Romantisierung ein emotionaler Ausgangspunkt für wirkliches Interesse? Oder ist es bezeichnend, dass nach 200 Jahren Indianerroman deren tatsächliche Geschichte ein Nischenthema bleibt? Es bleibt eine Frage, der nüchtern nachzugehen wäre, wie sich Indianergeschichten oder Indianerspiele zum Wissen über die nordamerikanische Kolonialgeschichte verhalten. Zumal heute, wo selbst auf Deutsch Dutzende Dokus auf einen Mausklick warten, mal mit Tausenden, mal Hunderttausenden Aufrufen.
Was wir kennen, sind die Geschichten. Und hierbei besteht - was Verfechter des identitären Arguments bedenken sollten - ein erheblicher Unterschied zwischen dem Dies- und dem Jenseits des Atlantiks: Die hiesigen Schilderungen sind ob der Entfernung vielleicht klischeelastiger. In ihrer Haltung aber sind sie deutlich »pro-indianischer« als weite Teile der US-Tradition - wenn auch nicht immer aus den lautersten Motiven.
Das zeigt sich sehr deutlich in der Fantasiewelt von Karl May (1842 - 1912). In den Indianergeschichten des in der Summe der Auflagen bis heute fast meistgelesenen und meistübersetzten deutschsprachigen Autoren schwingt ein aufdringlicher Deutschnationalismus mit. Es ist kaum zu übersehen, wie May die zu seinen Zeiten virulente »deutsch-französische Erbfeindschaft« auf seine »Indianer« übertrug. Winnetous Apachen werden nach diesem Maßstab als »deutsch« porträtiert, die verschlagenen Kiowa (und teils die Comanche) als deren angeblich ewige Widersacher tragen »französische« Züge. May hat die Deutschheit seiner Lieblinge sogar in einer Romanfigur verdichtet: Bei den Apachen lebt ein mysteriöser Greis als moralische Instanz, der sich als Deutscher entpuppt: »Indianer«, moralisch befruchtet von Weißen? Nicht erst der liberale Identitätsaktivismus von heute, sondern bereits die marxistisch-leninistische Kulturpolitik der DDR der 1950er wollte von solchem »Rassismus« und derartiger »Deutschtümelei« nichts hören. Karl May wurde von Straßenschildern getilgt. Die zwischen 1966 und 1985 gedrehten Indianerfilme der DEFA - um stimmige Darstellung immerhin bemüht - sollten nicht nur den damals grundlegend kolonialen Hollywoodwestern, sondern auch Karl May konterkarieren.
Allerdings mündeten Mays nationalistische Motive auch in eine Absetzung von der damals in den USA gängigen Vernichtungspropaganda. In den 1870ern, als May Winnetou als edlen Apachen erfand, wurden diese in der dortigen Presse als blutrünstige Wilde vorgeführt, um eine harte Hand zu begründen. Eine Art Antiamerikanismus avant la lettre führte bei May dazu, dass Weiße - mit Ausnahme der Deutschen und Angedeutschten - nicht selten sehr negativ dargestellt werden. Auch bei ihm gibt es zwar schrullig-kraftvolle »Pioniere«, wie sie schon James Fenimore Cooper (1789-1851) als Erfinder des Genres ersann. Doch treten in großer Zahl geldgierige, betrunkene Nichtsnutze auf, die kulturell mitnichten über welchen »Indianern« auch immer stehen. Vor deren primitiven Rothautfressersprüchen sollen sich Mays Leser ekeln.
Diese Antihaltung gegenüber den nordamerikanischen Mythen seiner Zeit findet sich auch in manchen Handlungen, die May sich ausdachte. Es gibt bei ihm grundsätzlich zwei Sorten von Geschichten: Viele seiner schnell geschriebenen Stories sind unspezifische Heldensagas, in denen »gemischte« Teams klassische Schurken zur Strecke bringen, die freilich fast immer weiß sind. Doch daneben stehen elaboriertere Szenarien: Winnetou tritt erstmals in einem Konflikt um indianisches Land auf, durch das eine Eisenbahngesellschaft ihre Linie führen will. Der gewaltsame, wortbrüchige Griff nach Territorien ist in vielen Geschichten die Grundkonstellation - und auch eine rücksichtslose, umweltzerstörende Erdölgesellschaft treibt bereits bei May ihr Unwesen.
Der gestrichene Ku-Klux-Klan
Mit Blick auf diese Rahmen versöhnte sich nach 1980 auch die DDR mit Winnetou. Nun sah man den »Arbeitersohn«, der »gegen die US-amerikanische Raub- und Ausrottungspolitik« schrieb. Und das ist ja nicht völlig falsch: In den ambitionierteren Geschichten sagt Karl May unter dem Strich: Die »Indianer« waren gute Leute. Sie waren im Recht. Es wurde ihnen übel mitgespielt.
Wie umgehen mit diesem schwierigen Erbe? Was den Sommeranlass des deutschen Indianerkrieges angeht, wird eins sehr deutlich: Die Festspielbühnen entscheiden sich meist für die vagen Geschichten mit gemischten Heldenteams und unspezifischen Schurken. Vielleicht scheut man den »Antiamerikanismus« Mays, der in den elaborierten Stories klarer wird. Das hätte zumindest eine gewisse Tradition in der westdeutschen Karl-May-Kultur: So redigierte vor gar nicht so langer Zeit der Nymphenburger Verlag zielsicher eine Episode um den Ku-Klux-Klan - diese, wie der Leser lernt, widerliche Bande, die nur zehn gegen einen kann - wegen »Datierungsbedenken« aus einer Ausgabe. Wäre es ein Zeichen an die Zeit, gerade diese Geschichte auf die Bühne zu bringen?
Bezüglich des winterlichen Verkleidungsstreits möchte man sagen: Lasst die Kinder, wenn die das wollen, sich ruhig Federn aufsetzen. Das Indianerspiel unterscheidet sich erheblich von ganz zu Recht zunehmend verrufenen Faschingsritualen um »Hottentotten« im Bastrock: Es ist - in der hiesigen Tradition, weit weg von den Schauplätzen - ein Spiel der Überhöhung und nicht der Herabwürdigung. Gewiss führt exotistische Bewunderung nicht zwangsläufig zu realer Empathie mit ihren Subjekten. Sind aber die Vorzeichen einer Klischeebeziehung wirklich ganz gleichgütig?
Und wie seltsam scheint es bei alledem, dass die »Indianer« Kritik auf sich ziehen, die »Cowboys« aber ungeschoren bleiben. Ist es nicht viel problematischer als jene Karl-May-Spektakel, wenn in allerlei »Westernstädten« die Kultur der nordamerikanischen »Frontier« folklorisiert wird, die ja tatsächlich auch Schauplatz eines Genozids war? Wenn Kinder nicht »Indianer«, sondern »Indianer erschießen« spielen? So scheint es, als könne die Forderung nach dem Verschwinden der Federhauben nicht dem Schicksal der Indigenen gerechter werden, sondern dieses bloß symbolisch besiegeln.
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