Widerstand heute wie damals

Der Radical Queer March will 50 Jahre nach Stonewall eine kämpferische Alternative zum Christopher Street Day sein

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

Polizisten stürmen durch die Tür, mit Gummiknüppeln schlagen sie auf die Menschen im Stonewall Inn in der Christopher Street in Manhattan ein. Plötzlich wehren sich die Besucher*innen, Flaschen fliegen, »Gay Power«-Rufe hallen durch die Straßen. Die Nacht des 28. Juni 1969 wird zur Geburtsstunde einer weltweiten Emanzipationsbewegung. Seitdem ist viel passiert. In der BRD gibt es die Homo-Ehe und den Dritten Geschlechtseintrag. Berlin feiert zum 41. Mal den Christopher Street Day.

»Trotzdem ist queerer Widerstand auch 50 Jahre nach Stonewall noch genauso wichtig wie damals«, erklärt eine der Organisator*innen des Radical Queer March (RQM) dem »nd«. Die 26-Jährige nennt sich Leila Schwarz und organisiert die alternative Demonstration zusammen mit nur einer Handvoll anderer Menschen. Unter dem Motto »Let’s Get Critical, Pride Is Political« wollen sie am Samstag queere Politik mit Kapitalismuskritik und einem intersektionalen Ansatz verbinden, der den Kampf gegen Rassismus und Sexismus beinhaltet.

Seit 2016 gab es keinen alternativen CSD mehr in Berlin. Von 1998 bis 2013 hatte er zunächst unter dem Namen Transgenialer CSD stattgefunden. Danach gab es seit 2014 mit dem Kreuzberger CSD noch eine alternative Nachfolgedemonstration, die 2016 unter dem Namen X*CSD fortgeführt wurde. Das Organisa᠆tionsteam hatte sich jedoch nach Rassismusvorwürfen getrennt.

Mit den Organisator*innen der bisherigen alternativen CSDs habe das Vorbereitungsteam des diesjährigen Radical Queer March allerdings nichts zu tun. »Wir berufen uns nicht auf den Kreuzberger oder den X*CSD, deren Organisator*innen wir gar nicht kennen«, erklärt Schwarz.

Wie die vorangegangenen alternativen Prides distanziert sich aber auch der Radical Queer March von kapitalistischen Unternehmen: »Es scheint unmöglich, zwischen den Wagen von rassistischen und sexistischen Konzernen wie dem Axel Springer Verlag und der Bundeswehr an das radikale politische Erbe von Stonewall anzuknüpfen und dort unseren Kampf sichtbar zu machen.« Laut Schwarz tragen die Unternehmen dazu bei, das Leben für viele queere Menschen weniger sicher zu machen. Anders als beim großen CSD, bei dem fast 100 Fahrzeuge angemeldet sind, wird es beim Radical Queer March deshalb auch nur einen einzigen Wagen geben. Das Geld dafür kommt nicht von liquiden Sponsoren, sondern aus der eigenen Tasche. 400 Menschen seien offiziell angemeldet, man rechne aber mit deutlich mehr Teilnehmenden, erklärt Schwarz dem »nd«.

Startpunkt für den alternativen CSD wird am Samstag um 18 Uhr der Mariannenplatz in Kreuzberg sein. Nach einer Zwischenkundgebung um 19 Uhr an der S-Bahn Brücke Warschauer Straße, geht es weiter Richtung Norden zum queerfeministischen-anarchistischen Hausprojekt Liebig34, das derzeit akut von Räumung bedroht ist. Erst am vergangenen Wochenende fand dort eine Polizei-Razzia statt. Der symbolträchtige Endpunkt der Demonstration sei von den Organisator*innen ganz bewusst gewählt worden. Die Parallelen, so Schwarz, seien offensichtlich: »Wie die Liebig34 war das Stonewall Inn damals ein Schutzraum für queere Menschen, gegen den die Polizei mit massiver Gewalt vorgegangen ist.« Dieser strukturellen Gewalt, etwa durch die Polizei, würden Queers auch heute - 50 Jahre nach Stonewall - noch immer gegenüberstehen. Das Hausprojekt in der Liebigstraße sei dabei nur ein Beispiel eines Schutzraums, den es auch im Jahr 2019 noch zu verteidigen gelte.

Auf dem großen CSD sei davon nicht mehr viel zu spüren. »Es ekelt uns an, wie Queerness kommerzialisiert und LSBTIQ*- Menschen in diesem kapitalistischen System nur dann akzeptiert werden, wenn sie weiß und bürgerlich angepasst sind«, so Leila Schwarz. Mit dem großen CSD wolle Berlin das eigene Image aufpolieren und sich als super tolerante, aufgeklärte und progressive Stadt darstellen, meint sie. Und ergänzt, dass die Unterdrückung und Diskriminierung vieler Queers dadurch unsichtbar gemacht würden. Dass der große CSD wieder politischer sein will, hält Schwarz für wenig überzeugend: »Nur weil man sich in diesem Jahr offiziell auf die Stonewall-Revolte bezieht, heißt das noch lange nicht, dass der ganze Umzug automatisch politischer und vor allem kämpferisch wird.«

Die politischen Kampfthemen der eigenen Veranstaltung hätten sich laut Schwarz in den vergangenen Wochen vor allem aus den persönlichen Erfahrungen und Positionierungen der Organisator*innen ergeben. Dazu gehörten das Thema Trans* und Knast, Entstigmatisierung von Sexarbeit, der Kampf von nicht-binären Personen, und der von Queers of Colour, also nicht weißen LSBTIQ*-Personen. Zu diesen Themen soll es dann auch Redebeiträge geben.

Für Samstag hofft Schwarz, dass es gelingt, queere Solidarität zu leben, Kämpfe zu vereinen, auf die Straße zu tragen und sichtbar zu machen. »Wir lassen uns unsere Schutzräume nicht wegnehmen«, sagt sie zum Schluss. Nach der Demonstration will aber auch sie ein bisschen feiern und die ernsten politischen Themen für einen kurzen Moment vergessen.

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