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Schwangerschaftsabbrüche: Sorry, nur in Berlin und Hamburg

Nur vier Bundesländer kommen vor: Die zentrale Liste mit Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen ist da - und ziemlicher Quatsch.

  • Lou Zucker
  • Lesedauer: 5 Min.

Nur 87 von 1200 Praxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, sind aufgelistet - und nur fünf davon befinden sich nicht in Berlin oder Hamburg. Die zentrale Liste ist da, über die sich ungewollt Schwangere nun endlich informieren können sollen, welche Praxis in ihrer Nähe Abtreibungen vornimmt und mit welchen Methoden. Besonders viel steht allerdings noch nicht drauf.

Die Liste war der Kompromiss, auf den sich der Bundestag im Februar geeinigt hatte: Der Paragraf 219a, das sogenannte Werbeverbot für Abtreibungen, bleibt bestehen - wurde aber leicht abgeändert. Ärzt*innen sollen jetzt nicht mehr, wie bisher, verklagt werden können, weil sie auf ihrer Website schreiben, dass sie Abbrüche vornehmen. Sie dürfen aber immer noch keine weiteren Informationen darüber online herausgeben - zum Beispiel, mit welchen Methoden sie arbeiten oder bis zu welcher Woche sie Schwangerschaften beenden. Das alles soll auf der zentralen Liste der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stehen, die seit Montag online ist.

Vier Gründe, warum die Liste bei einer ungewollten Schwangerschaft wenig weiterhilft:

1. Wenn du nicht in Berlin oder Hamburg wohnst, hast du ein Problem

Ganze fünf Praxen stehen auf der Liste, die sich außerhalb der beiden Großstädte befinden: Jeweils eine in Bielefeld, Remscheid und Olsberg und zwei in Offenbach. Für ungewollt Schwangere hat sich damit so gut wie nichts verändert, denn die Listen für Berlin und Hamburg waren schon vorher online. Für zwölf Bundesländer hält die Liste der Bundeszentrale keine Information parat, wo Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden.

2. Die Liste wird wachsen - aber vermutlich sehr langsam

Um auf die Liste aufgenommen zu werden, müssen Ärzt*innen selber einen Antrag stellen. Die Bundesärztekammer spricht in ihrer Pressemitteilung von einem »mehrstufigen Registrierungs- und Verifizierungsprozess«. Das klingt langwierig und kompliziert und könnte für vielbeschäftigte Ärzt*innen eine unnötige Hürde sein. Alicia Baier, Ärztin und Gründerin der Organisation Medical Students for Choice, findet es problematisch, dass »Ärzt*innen gar nicht aktiv gefragt« werden. Ein Sprecher der Bundesärztekammer sagt gegenüber Supernova: »Es ist nunmehr die Aufgabe der Bundesärztekammer, die Schwangerschaftsabbrüche durchführenden Ärztinnen und Ärzte möglichst flächendeckend zur freiwilligen Einstellung ihrer Daten auf dieser Plattform zu bewegen.« Der einzige Plan, den die Kammer dazu parat hält, ist die Praxen über das Deutsche Ärzteblatt zu informieren.

3. Auf einer zentralen Liste zu stehen, kann für Ärzt*innen gefährlich werden

Baier befürchtet außerdem, dass sich manche Ärzt*innen nicht auf die Liste setzen lassen wollen, um nicht stigmatisiert zu werden. Immer wieder werden Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, von sogenannten Lebensschützer*innen bedroht, ihre Klient*innen werden von »Mahnwachen« und »Gehsteigberatungen« vor den Praxen eingeschüchtert. In Zeiten, in denen Nazis Todeslisten führen, ist es nur verständlich, wenn Ärzt*innen sich zwei mal überlegen, ob sie Teil einer zentralen Liste sein wollen.

Stefka Blag, Gynäkologin aus Olsberg, Nordrhein-Westfahlen, wurde schon mehrmals von »Lebensschützer*innen« angefeindet. Sie bekam unangenehme Anrufe, fand Aufkleber am Fenster ihrer Praxis, auf denen sie als Mörderin bezeichnet wird. Auf die Liste setzen lassen hat sie sich trotzdem. »Irgendwie müssen die Frauen ja erfahren, dass ich Schwangerschaftsabbrüche anbiete, sonst verliere ich Klientinnen«, sagt sie. Auf ihrer Website steht nichts von Abtreibung. Es wäre zwar jetzt offiziell erlaubt, darüber zu informieren, dass sie diese Leistung anbietet. Doch ihr ist das zu unsicher: Einmal wurde sie schon von der Staatsanwaltschaft vorgeladen und sollte wegen unerlaubter Werbung angeklagt werden. Auch nach der Gesetzesänderung wurden noch Kolleg*innen verklagt, sagt Blag. Das Risiko will sie nicht eingehen.

4. Es fehlen wichtige Informationen

Zu jeder Arztpraxis steht auf der Liste in der Regel, welche Methoden sie anbietet: operativ oder medikamentös. Mit welcher operativen Methode die Praxis arbeitet, kann man auf der Liste aber nicht nachlesen. Da gibt es nämlich zwei verschiedene: Die sogenannte Absaugung und die Ausschabung, auch Kürettage genannt. Letztere war früher Standard, wird heute aber nicht mehr empfohlen, weil es dabei leicht zu Komplikationen kommen kann. Tatsächlich wird sie aber immer noch praktiziert, erklärt Baier. Außerdem steht auf der Liste nicht, bis zu welcher Woche die jeweiligen Ärzt*innen den Abbruch vornehmen. Straffrei ist der Abbruch bis zur zwölften Woche, viele Ärzt*innen bieten ihn aber nur bis zur sechsten Woche an. Baier findet, auf der Liste fehle »eine persönliche Beschreibung, wie die jeweiligen Ärzt*innen das Thema angehen«. Die Verbindung zwischen Ärzt*in und Patient*in sei besonders wichtig.

Wie geht es jetzt weiter?

Kristina Hänel, die nach Paragraf 219a zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt wurde, will laut taz nicht auf die Liste. Sie will weiter für die Abschaffung des Informationsverbots kämpfen und zur Not vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Alicia Baier ist dabei, mit anderen Kolleginnen den Verein »Doctors for Choice« zu gründen. Es gäbe in ganz Deutschland schon viele Ärzt*innen, die sich für Informationsfreiheit, gegen den Paragrafen 219a und für eine bessere Ausbildung in Schwangerschaftsabbrüchen einsetzten. Der Verein will diese Initiativen zusammen bringen. Am Donnerstag findet in Berlin eine Demonstration gegen die Anti-Choice-Beratungsstelle ProFemina statt.

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