Macht links den Unterschied?

Rot-Rot kann auf Erfolge verweisen und steht doch vor dem Aus.

Welche Partei soll ich wählen? Diese Frage ist für viele Wähler - in Brandenburg wie anderswo - beinahe so schwer zu beantworten wie die, ob die bisherige Regierung einen ordentlichen Job gemacht hat. Linke werden sich mit einem »ordentlichen Job« womöglich gar nicht zufrieden geben und fragen, ob Mitregieren der richtige Weg ist, die Gesellschaft zu überwinden, die man überwunden sehen will.

»Man braucht schon einen guten Grund, nicht in Koalitionsverhandlungen einzutreten, wenn man zu Wahlen angetreten ist.« Mit diesem lakonischen Satz kommentiert Horst Kahrs, Sozialwissenschaftler und Referent des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, den uralten Streit um Opponieren und Mitregieren in der Linken. Vielleicht gehe es ja viel mehr um die Frage, ob man gut oder schlecht regiert, meint Kahrs. 2014 jedenfalls hatten die Brandenburger Wähler die Linkspartei nach fünf rot-roten Regierungsjahren mit einem Verlust von fast neun Prozent abgestraft.

Wofür? Hatte sie schlecht regiert? Eigentlich nicht. Anders als die rot-rote Koalition, die 2002 im Land Berlin zum Zuge kam, ging es den Brandenburgern nicht um Sparen, bis es quietscht. Denn während der rot-rote Senat sich mit einer erdrückenden Schuldenlast von rund 60 Milliarden Euro herumschlagen musste, waren die Verbindlichkeiten Brandenburgs, die sich auf etwa 20 Milliarden Euro beliefen, noch überschaubar. Gleichwohl sollte gespart werden: etwa im öffentlichen Dienst, worunter vor allem die Polizei gelitten hätte. Die LINKE machte nur zögerlich mit und erreichte im Laufe der Jahre, dass die Pläne korrigiert wurden. Inzwischen gibt es mehr Lehrer, und es soll auch wieder mehr Polizisten geben.

Interessieren sich Wähler für solche Details? Etwa jene sogenannten Protestwähler, die ihre Stimme als Unmutsbekundung - irgendwie gegen das »System« - nutzen? 2014 hatte es den Anschein, die Linkspartei sei weniger dafür abgestraft worden, was sie getan hatte, als dafür, was sie nicht tat. So gab es große Erwartungen, dass die Sozialisten dafür sorgen würden, dass Altanschließer nicht für bereits zu DDR-Zeiten gelegte Trinkwasseranschlüsse und Kanalisation Beiträge entrichten müssen. Dort konnte sich die Linkspartei nicht gegen die SPD durchsetzen.

SPD und Linkspartei schienen es insgesamt auf ein reibungsloses Regieren anzulegen. Das änderte sich erst zuletzt spürbar. Nach fast zehn Jahren rot-roter Koalition ist das Ringen um das umstrittene Polizeigesetz von Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) teils auch öffentlich ausgetragen worden. Die Linkspartei hat einen aus Sicht der Bürgerrechte unzumutbaren Entwurf so weit verändern können, dass die ursprüngliche Handschrift des Innenministers kaum noch zu erkennen ist. Geblieben ist in der linken Szene aber der fatale, wenngleich nicht ganz zutreffende Eindruck, die LINKE habe auch hier doch irgendwie wieder mitgemacht.

Ist reibungsloses Regieren Qualitätsmerkmal einer erfolgreichen Koalition? Nein, meint Horst Kahrs. Wer das versuche, mache sich als Linker unglaubwürdig. Die Opposition zu den kapitalistischen Verhältnissen müsse auch in Regierungszeiten gelten. Er plädiert für eine Art rebellisches Regieren. Wären damit auch radikale Linke, gar die sogenannten Protestwähler bei der Stange zu halten? Dass die Linkspartei mit jedem Eintritt in eine weitere Landesregierung ihren Nimbus als reine Protestpartei verliert, liegt nahe. Einer Landesregierung sind oft die Hände gebunden. Das kommt hinzu. Die Kompetenzen der Bundesländer in der föderalen Struktur der Bundesrepublik erstrecken sich gerade nicht auf jene Politikbereiche, mit denen Parteien mit dem größten Veränderungsanspruch um Zustimmung werben. »Hartz IV muss weg« - das ist eine Forderung, mit der es sich auf Bundesebene auch leicht scheitern lässt. Doch auf Landesebene gibt es nicht den Hauch einer Chance dafür.

Möglicherweise steht auch die Abwanderung von Protestwählern zur AfD mit der Metamorphose der Linkspartei zur »normalen Partei« in einem Zusammenhang. Auf die Frage, warum die Partei in Brandenburg 2014 so stark verlor, verweist Wolfgang Schroeder vom Wissenschaftszentrum Berlin auf eine überdurchschnittliche Wählerwanderung zur AfD. Dies sei aber keine brandenburgische, sondern eine bundesweite Entwicklung. Dass die LINKE vom Verlust abwandernder Protestwähler zur Bundestagswahl 2013 über die Maßen betroffen war, ist Ergebnis seiner Untersuchungen. Die AfD jagte 2013 der Linkspartei sieben Prozent ihrer Wähler ab, mit einem so hohen Anteil »blutete« sonst nur die FDP. Vier Jahre später war das Bild nicht viel besser: Noch einmal vier Prozent mehr, nämlich elf Prozent LINKE-Wähler wechselten 2017 zur AfD. Damit war es erneut die LINKE, der die AfD am meisten schadete. Auch in Brandenburg, wo Schroeder zwischen 2009 und 2014 unter Sozialminister Günter Baaske (SPD) Staatssekretär gewesen ist, zeigte sich dieser Trend.

In der Linkspartei ist das Phänomen des Wählerverlustes an die AfD Gegenstand vieler polarisierender Debatten, in denen es aber meist um Abgrenzung von vermeintlich nationalistischen Positionen geht. Wenn man sich aber nicht »erleichtert« über den Verlust der vermeintlich falschen Wähler zeigen will, muss die Frage lauten: Wer sind die Protestwähler, mit welchem Nutzen können sie im Fall einer Wahl der LINKEN rechnen? Wie kann man ihnen dies nahebringen?

»Wir befinden uns mitten im Umbruch des deutschen Parteiensystems«, darin sieht Wolfgang Schroeder die eigentlich brisante Entwicklung, die er in den aktuellen Umfragen bestätigt findet. Alle Parteien nach der AfD rangieren zwischen 16 und 18 Prozent, jede von ihnen könnte die Kraft werden, die den Ministerpräsidenten stellt. »Ein Wechsel in der Staatskanzlei wäre eine Zäsur«, sagt Schroeder. Den Umfragen zufolge muss die Brandenburger Linkspartei in zwei Wochen mit keinem vergleichbaren Verlust wie vor fünf Jahren rechnen. Der Verlust schwächt sich in dem Maße ab, wie der Zulauf zur AfD seinen Zenit überschreitet. Vielleicht ist erst jetzt in der Wahlentscheidung für oder gegen die Koalitionsparteien auch eine Bewertung der realen Arbeit der Koalition durch die Wähler ablesbar.

Was also macht dann für Wähler gerade mit einem linken Gestaltungsanspruch den Unterschied der Mitte-links-Regierung in Brandenburg? Wo sind die kleinen, aber für Linke wichtigen Schritte? Genannt wird oft das Projekt Gemeinschaftsschule. Die CDU will die Gymnasien unbedingt erhalten, und die SPD zeigte in Brandenburg aus eigenem Antrieb nie den Willen, die Schule für alle voranzubringen. Erst in der rot-roten Koalition hat sich hier wirklich etwas getan. Zu wenig? Am Ende ist die Frage »Was macht den Unterschied« nicht nur eine an die Parteien, sondern jede Wählerin, jeden Wähler selbst.

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