Der gefährlichste Mann Deutschlands

Teuflisches Kalkül mit Volkes Forderungen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.
Wolfgang Schäuble, Führungsmann der CDU und Bundesinnenminister, hat sich erneut empfohlen: Als Verfassungsfeind und Sicherheitsrisiko.
Seit einiger Zeit wird unter Sicherheitsexperten ein garstiger Witz weitergereicht: Was ist der Unterschied zwischen einem Amokläufer an einer US-Schule und unserem Bundesinnenminister? Antwort: Den durchgeknallten Schüler kann man mit einem Spezialeinsatzkommando stoppen!
Um den Gag lustig zu finden, braucht man einen Humor, der so schwarz ist wie Schäubles Gesinnung. Die ist ihm nicht zugeflogen. Angefangen hat die Karriere des inzwischen gefährlichsten Mannes Deutschlands in einem Freiburger Finanzamt. Seine Promotion - »Die berufsrechtliche Stellung der Wirtschaftsprüfer in Wirtschaftsprüfungsgesellschaften« - lasst nicht erkennen, dass er auf dem Gipfel seiner politischen Macht den Vorschlag macht, Leute, die im Verdacht stehen, Terror zu verbreiten, prophylaktisch umbringen zu lassen. Andere Verdächtige will er als Verschwörer, ein Straftatbestand, den man hierzulande erst schaffen müsste, in ein deutsches Guantanamo schaffen.
Wohlgemerkt, es handelt sich nicht um überführte Straftäter, denen ein Gericht die (in Deutschland ohnehin unmögliche) Todesstrafen zugemessen hat oder die als Kombattanten, also wie Kriegsgefangene, behandelt werden müssten. Schäuble, der freilich nur in Frageform formuliert, was er wünscht, reicht der pure Verdacht, um derartige Maßnahmen zu ergreifen.
Wie rasch ein Verdacht aufkeimt und durch scheinbare Fakten verstärkt wird, beweist der Fall Murat Kurnaz. Der in Bremen lebende Türke hatte sich eine Outdoor-Hose gekauft, ein Fernglas dazu, ließ sich in einer angeblich radikal unterwanderten Moschee blicken und kaufte ein Flugticket nach Pakistan. Schon war aus dem unreifen jungen Mann ein Terrorist geboren. In den Akten der Behörden.
Der Minister verwischt - wie bereits mehrfach - jegliche Grenzen zwischen äußerer und innerer Sicherheit. Die Tötung von mutmaßlichen Terroristen - vorerst nennt Schäuble im »Spiegel«-Interview einen offensichtlichen politischen Verbrecher wie bin Laden, der jedoch bisher auch noch kein ordentliches Strafurteil erfahren hat - empfindet der Bundesinnenminister nicht als Dehnung des Rechtsstaates. Er verweist auf die Polizeigesetze verschiedener Bundesländer, in denen der sogenannte finale Rettungsschuss verankert ist.
Eine Frechheit, finden Polizeiexperten. Es sei schon ein Unterschied, ob man eine Geisel aus der unmittelbaren Gefahr befreie, oder ob ausgeschickte Killer hinterrücks den Finger krümmen. Modell: Gangster gegen Gangster.
Doch Schäubles Repertoire ist noch umfangreicher. Er will durch Trojaner Zugriff auf private Computerdaten, die Möglichkeiten zur Überwachung von Wohnräumen erweitern, die digitale Datenverknüpfung von Melde- und Passämtern, er will die biometrische Überwachung in vielgestaltiger Art, er setzt die Bundeswehr im Inland ein und pfeift auch dabei auf die Gebote der Verfassung. So wie er alles unternimmt, um das grundgesetzliche Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten zu unterlaufen.. Schäuble ist dafür, dass die Autobahn-Mautgeräte für geheimdienstliche wie polizeiliche Neugier genutzt werden können und es macht ihm nichts aus, wenn deutsche Dienste unter Folter erpresste Aussagen für ihre Zwecke verwenden. Wohlgemerkt: In Deutschland will er nicht foltern lassen, so beugsam ist seine abendländisch Kulturauffassung nicht. Doch dass andere das besorgen, ist okay. Dabei ist sicher nicht nur an die Kollegen von der CIA gedacht. Immer mehr Freelancer übernehmen dreckige Jobs, deren Ergebnisse dennoch in Deutschland Gerichtsverwertbar sein sollen.
Das jedenfalls wünschen Hardliner in Schäubles Ressort. Die vor dem Amtsantritt des CDU-Mannes bereits eine »gute« Schule durchlaufen haben. Vorgänger Otto Schily (SPD) hatte nach den Anschlägen vom 11. 9. 2001 manches auf den Weg gebracht und sehr vieles gedeckt, was unser Grundgesetz löchrig werden ließ. Dennoch gibt es einen entscheidenden Unterschied im Amtsverständnis der beiden Innenminister. Was Schily vorwiegend heimlich vorantrieb, versucht Schäuble öffentlich.
Konrad Freiberg, Chef der Gewerkschaft der Polizei, sucht nach Schäubles Motiven: Rückversicherung. »Schäuble baut schon jetzt für den Fall vor, dass tatsächlich ein Terroranschlag verübt wird.« Um von Versäumnissen abzulenken. Motto: »Ich habe es euch ja gesagt!«.
Andere Kenner der Szene gehen weiter. Sie glauben, Schäuble samt Hintermänner kalkulieren einen neuerlichen schweren Terroranschlag in Deutschland oder auf Deutsche ein. Unweigerlich folgt dann ein öffentlicher Aufschrei. Auf dessen Schallwellen wird die sogenannte breite Öffentlichkeit dann vieles von dem mittragen, was Schäuble bereits jetzt in Aussicht gestellt hat. Der findige Badener kann sich dann zurücklehnen: Herrschende Politik und sich immer weiter verselbstständigende Behörden haben es geschafft. Wir, das Volk, bitten sie, unsere Gedanken zu lesen, unsere Gesinnung zu kontrollieren - und auch ein wenig, unser Leben auf der genüsslichen Seite der Erde zu garantieren.


Aus dem Arsenal
Das Arsenal des Bundesinnenministers ist umfangreich. Noch ist die Union nicht mit allen Forderungen auf das Wohlwollen des Koalitionspartners SPD gestoßen.
Mit Hilfe des Passgesetzes ist beabsichtigt, der Polizei und anderen Sicherheitsbehörden einen direkten Zugriff auf die Passbilddateien aller deutscher Meldeämter zu ermöglichen. So wird Rasterfahnung erst richtig total. Auch die strebt Schäuble auf erweiterter Grundlage an. Er will dabei alle nur möglichen Datenbanken vernetzen und gemeinsam mit der Fingerabdruckdatei alle Bürger unter Generalverdacht stellen.
Was der Minister beim Fluggastdatenaustausch mit den USA als Kompromiss verkauft, ist eine Mogelpackung. Ein besonderes »Hobby« des Ministers ist die Onlinedurchsuchung. Mit Hilfe von Trojanern will man private Computer verseuchen, um so Daten »abzuzweigen«. Gleichfalls angestrebt ist die Nutzung aller eingehenden Mautdaten, die detailliert Auskunft über Fahrtrouten und ähnliches geben. Immer öfter wird die Bundeswehr - jüngst bei den Protesten gegen den G8-Gipfel - grundgesetzwidrig im Innern eingesetzt. Nach wie vor verfolgt Schäuble die wahnwitzige Idee eines Luftsicherheitsgesetzes, dass den Abschuss von terrorverdächtigen Passagiermaschinen zulassen würde. Bei alledem wird die parlamentarische Kontrolle zunehmend erschwert und - siehe Untersuchungsausschuss - unmöglich gemacht. hei


Live and let die
Live and let die - leben und sterben lassen, so lautete ein Ohrwurm von Paul und Linda McCartney für den gleichnamigen James-Bond-Film. Wie alle Filme dieser Serie mag er den einen amüsieren, den anderen abstoßen - und einige der dritten Art mögen ihn als Bestätigung ihres täglichen Tuns betachten. Denn es ist seit jeher an der Tagesordnung, politische Ziele mit Mord und Totschlag, bisweilen auch individueller Terror genannt, durchzusetzen.
Die alten Griechen taten es, im Cäsaren-Rom gehörte das zum schlechten Ton, die verschiedenen Ludwigs auf Frankreichs Thron lebten vom Mord, Stalin brachte die Methode zur schrecklichen Reife. Man erinnert sich an die jüngsten Giftmorde von London, die dem russischen Präsidenten Putin und irgendeinem seiner geheimen Dienste angelastet werden. Die CIA und andere US-Dienste haben den Auftrag zum Töten (wieder) in ihren regierungsoffiziell lizenzierten Handbüchern.
Die demokratische Öffentlichkeit verlangt völlig desinformiert, aber umso vehementer Aufklärung. Und? Nichts geschieht. Nicht einmal wenn man wieder einmal einen Potentaten der UNO vom Himmel schießt oder bekannten Gewerkschaftsführer umbringt.
Schäuble stellt bisher nur die Frage, ob es denn nicht in »Extremfällen« angezeigt scheint, das sogenannte »Targeted Killing« anzuwenden. Wen will er aussenden zum finalen Ende? Etwa BND-Leute? Nein, die würden ja nicht einmal ein wenig foltern wollen - was sie übrigens, das sei betont, sehr ehrt. Polizisten scheiden sowieso aus, nach allem, was wir Deutschen im Dritten Reich begangen haben. Bleibt nur eine Möglichkeit: Schäuble einigt sich - über diverse nie ermittelbare Mittelsmänner mit miesen Killern über einen Kopfpreis. Oder will die Regierung gar die KSK ansetzen?! Geheim genug dürfen sie ja operieren. hei

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