»Die Jugendlichen sind nicht naiv«

Bewegungsexperte Simon Teune über die Schülerstreiks

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 6 Min.

Für dieses Wochenende hat die Schülerbewegung »Fridays for Future« (FFF) zum internationalen Klimastreik aufgerufen. Was bräuchte es, damit der Protest ein Erfolg wird?
Wenn es gelingt, dass sehr viele Menschen – und nicht nur die üblichen Verdächtigen – auf die Straße und nicht zur Arbeit gehen, könnte von dem Streik tatsächlich ein starkes Signal ausgehen. Wie groß die Beteiligung sein wird, ist im Vorfeld aber überhaupt nicht abzuschätzen. Die Protestform des Sozialstreiks, also der Versuch, das ganze Land lahmzulegen, ist abseits des Frauenstreiks sehr selten und gewissermaßen unkartiertes Gelände.

Die Gewerkschaften unterstützen zumindest verbal den Protest. Sie rufen ihre Mitglieder jedoch nur zum Ausstempeln oder Freimachen auf, aber nicht zum direkten politischen Streik. Ein Lippenbekenntnis?
Die politischen Kosten für eine Unterstützung sind in den Gewerkschaften sehr unterschiedlich verteilt. Wenn man nur auf die gegenwärtig Beschäftigten schaut, gibt es klare Interessenskonflikte. Die IG Metall beispielsweise ist in der Automobilindustrie stark verankert und wird sich dementsprechend eher zurückhalten, Verdi kann sich ein lauteres Bekenntnis zum Klimaschutz einfacher leisten. Generell hätte man sich von den Gewerkschaften für den Klimastreik ein stärkeres Signal vorstellen können. Es braucht ihre Stimme, um die Position der Beschäftigten in die jetzt aufkommenden Debatten zu klimapolitischen Maßnahmen einzubringen.

Zur Person
Simon Teune arbeitet als Soziologe an der Technischen Universität Berlin. Der Forscher ist Mitglied am unabhängigen Institut für Protest- und Bewegungsforschung. Dort hat er unter anderem auch die Umweltbewegung »Fridays for Future« untersucht.

Hat FFF die Interessensgegensätze zwischen Wirtschaft und Umweltschutz auf dem Schirm?
Grundsätzlich finden wir innerhalb der FFF das Nebeneinander einer schwächeren antikapitalistischen und einer stärkeren liberalen Perspektive. Es gibt Leute, die macht- und herrschaftskritische Positionen vertreten, aber es gibt auch eine weit verbreitete Annahme,
dass man einfach nur die Regierung überzeugen müsste, wissenschaftliche Erkenntnisse in Politik umzusetzen, und dann werde alles gut. Dass große Bereiche der Wirtschaft im Moment Teil des Problems sind, ist den meisten klar. Aber dass politische Entscheidungen auch an ökonomische Interessen gekoppelt sind, nicht unbedingt.

Wie ist es mit der sozialen Frage in der Bewegung?
Die soziale Dimension von Klimaschutzmaßnahmen steht in der Bewegung noch nicht ganz oben auf der Prioritätenliste. Inwiefern Menschen von bestimmten Maßnahmen unterschiedlich betroffen sind, wird wenig berücksichtigt. Man pocht vor allem auf die Einhaltung der Pariser Klimaziele. Offensive Vorschläge zum Umgang mit den sozialen Kosten der ökologischen Transformation gibt es kaum. Diese Kritik gilt explizit nicht für die internen Diskussionen in den einzelnen Ortsgruppen. Aber in den öffentlichen Äußerungen kommt davon wenig an. Da ist die Gefahr groß, dass man weite Teile der Bevölkerung nicht mitnimmt und gleichzeitig den politischen Gegnern das Spielfeld überlässt.

Liegt der blinde inhaltliche Fleck auch an der sozialen Zusammensetzung von FFF?
Das hängt mit Sicherheit zusammen. FFF ist da aber keine Ausnahme in der Protestlandschaft. Diese ist im allgemeinen sehr mittelschichtlastig und hat einen eher akademischen oder wie in diesem Falle Gymnasiumshintergrund.

Welche weiteren Diskussionen werden in der Bewegung geführt?
Es wird innerhalb FFF immer wieder auch darüber diskutiert, ob man jenseits des Schulstreiks Aktionen des zivilen Ungehorsams stärker unterstützen sollte.

Sollten sie aus Forschersicht?
FFF hat eine klare, wiedererkennbare Form gefunden, mit der es gelungen ist, großen Druck aufzubauen. Die wöchentlichen Streiks und Demonstrationen haben die gesamte Klimabewegung belebt. Radikalere Protestformen wie die Blockaden von Braunkohlebaggern haben eine andere Funktion: Sie unterbrechen alltägliche Abläufe und schaffen symbolträchtige Ereignisse. Die unterschiedlichen Ansätze entfalten im Zusammenspiel die stärkste Wirkung. Dazu müssen die FFF nicht selbst Blockaden organisieren, einige von ihnen beteiligen sich auch so schon an den Aktionen von Ende Gelände oder Extinction Rebellion.

Ist es FFF ist denn gelungen, die öffentliche Debatte nachhaltig zu bestimmen?
Von einer bundesweiten Perspektive aus ist es gelungen, den drohenden Klimakollaps ganz oben auf die Agenda zu setzen. Regional gibt es aber große Unterschiede. In einzelnen Gegenden rangiert das Thema deutlich weiter hinten. Und es gibt nach wie vor eine kleine, aber laute Minderheit, die sich offensiv gegen FFF und speziell Greta Thunberg positioniert.

Wie geht Thunberg mit ihrer Rolle als öffentliche Symbolfigur um?
Sie macht das ziemlich schlau. Thunberg vertritt die Positionen von FFF sehr konsequent nach außen, gibt aber keine Richtung vor. Sie ist zwar schon so etwas wie eine Galionsfigur, es gibt aber keinen Personenkult um sie. Der Eindruck entsteht eher dadurch, dass sie im Mittelpunkt des Medieninteresses steht. Ich sehe da bei FFF eine größere Nüchternheit.

Weniger Nüchternheit findet man bei der Erzählung der Umweltbewegung, dass die Welt ohne zügiges Handeln bald untergehe. Welche Rolle spielt der Zeitfaktor bei der Mobilisierung von FFF?
Zeit stellt für die Bewegung einen wesentlichen Faktor dar. Dass sich ein mögliches Zeitfenster zum Handeln schließt, ist eine klassische Mobilisierungserzählung, die auch in der Umweltbewegung der 1980er Jahre schon funktioniert hat. In der Klimabewegung ist diese Deutung klar von wissenschaftlichen Prognosen gedeckt. Extreme Wetterereignisse machen diese Perspektive auch in der breiteren Öffentlichkeit immer plausibler. Die Wahrscheinlichkeit ist daher groß, dass die Bewegung nicht einfach verebbt, sondern wächst und noch an Dynamik gewinnt.

Konzerne und Parteien haben auch die Stärke von FFF erkannt und versuchen immer offensiver die Bewegung zu vereinnahmen. Wie geht diese damit um?
Am Anfang wurde noch versucht, die Proteste zu delegitimieren. Das war aber nur bedingt erfolgreich. Angesichts der diskursiven Übermacht von FFF musste die Strategie angepasst werden. Nun versucht man das Engagement der Bewegung zu loben, aber eine Politik zu suggerieren, die die eigenen Interessen möglichst wenig tangiert. FFF geht mit dieser Herausforderung ziemlich intelligent um. Schon mehrmals hat FFF gegen Vereinnahmungsversuche von Politikern interveniert, etwa von Wirtschaftsminister Peter Altmaier oder auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Jugendlichen sind nicht naiv, sie kennen die Fakten, und sie wissen sehr genau, was die Bundesregierung bislang getan hat und was nicht.

Sie kennen die Fakten und protestieren, verstehen sich in vielen Fällen aber nicht als links. Das findet man auch bei der Bewegung Extinction Rebellion. Ein Problem?
In einem gewissen Sinne braucht es dieses breite Selbstverständnis, um tatsächlich auch Mehrheiten auf demokratischem Wege zu gewinnen. Schwierig wird es da, wo Diskriminierungen und Abwertungen nicht mehr problematisiert werden. Wenn eine Bewegung dort wegschaut, tut sie der demokratischen Idee keinen Gefallen.

Könnte sich die FFF weiter radikalisieren, falls die Politik keine substanzielle Veränderung in der Umweltpolitik einleitet?
Das ist eine absehbare Entwicklung. Wenn die Schulstreiks und Demonstrationen keine Wirkung zeigen, werden mehr Leute bei den FFF sagen: »Wir können auch anders«. Der Zeitdruck wird diese Haltung noch verstärken.

Inwiefern werden die Protesterfahrungen die Schüler auf lange Sicht beeinflussen?
In einer größeren Dimension passiert das, was auch in vergangenen Bewegungsgenerationen zu erkennen war: Es wird sich ein gemeinsames Bewusstsein der kollektiv gemachten Erfahrungen herausbilden. Diese Erfahrungen werden in den späteren politischen Organisationen und Netzwerken der Teilnehmer eine Rolle spielen. Selbst wenn FFF nicht mehr auf die Straße geht, bleiben Beziehungen erhalten. Wie die Regierenden jetzt mit der Bewegung umgehen, hat daher einen entscheidenden Einfluss auf die weitere politische Sozialisation der Jugendlichen und ihr Verständnis von Demokratie.

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