Hambi, Rente, Arbeitszeit

Beim ver.di-Kongress ging es nicht nur ums neue Spitzenpersonal. Was inhaltlich geschah

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Wahlen sind über die Bühne gegangen, der neue Bundesvorstand ist besetzt. Seit Mittwochnachmittag berieten die rund 950 Delegierten beim ver.di-Bundeskongresses in Leipzig fast 1000 Anträge zu Tarifpolitik, Sozial-, Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik sowie Nachhaltigkeit oder Jugend. Damit legt die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ihren politischen Fahrplan fest und beschreibt, wo sie derzeit steht. Einige Schlaglichter auf die Debatte:

Abschaffung der Leiharbeit: Diese Forderung stand ursprünglich nicht im Leitantrag für den Bundeskongress. Leiharbeit, so begründete ein Delegierter den Änderungsantrag, produziere eine »permanente soziale Unsicherheit«. Sie bedeute Spaltung der Belegschaften und »einen Angriff auf uns alle«. Ein Gegenargument: Ver.di organisiert eine Menge Leiharbeiter. Ist denen wirklich geholfen, wenn man diese Arbeitsform unterbindet? Man dürfe die Leiharbeiter nicht hängen lassen und müsse sich weiter für deren Löhne und Arbeitsbedingungen einsetzen, fordern Delegierte. Die Replik: Prekäre Beschäftigung lasse sich nie fair gestalten. Letztlich beschließen die Delegierten einen Kompromiss: »Langfristig« müsse auf eine Gesetzesänderung hingewirkt werden, die Leiharbeit »abschafft«, heißt es nun.

Alterssicherung: Ver.di fordert die Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent. Damit konkretisierten die Delegierten den Antrag des Gewerkschaftsrats, der ohne genaue Festlegung gefordert hatte, das Rentenniveau »nach einer Stabilisierung auf 48 Prozent« »perspektivisch« wieder anzuheben. Die Antragskommission hatte den Delegierten empfohlen, die Festlegung auf 53 Prozent abzulehnen. Derzeit müsse es eher darum gehen, die Grundrente zu stärken. Eine Debatte um das konkrete Rentenniveau lenke davon ab, zumal, wenn sich die IG Metall bei ihrem Gewerkschaftstag Anfang Oktober dieser Forderung noch anschließen sollte. Das sahen die Delegierten anders und nahmen den Antrag an. Auch beim Renteneintrittsalter setzten sich die ver.di-Mitglieder über die Beschlussempfehlung der Antragskommission hinweg. Statt, wie im Entwurf, »die Rückkehr zur Rente mit 65« fordert ver.di nun »die abschlagsfreie Rente mit 63«.

Für eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich machte sich die Bundesjugendkonferenz stark. Im Leitantrag zu »Guter Arbeit« hatte es diesbezüglich allgemein geheißen, ver.di werde sich für eine Verkürzung der durchschnittlichen Arbeitszeit einsetzen und das Ziel einer »kurzen Vollzeit mit Lohn- und Personalausgleich« weiterverfolgen. Der Antrag wurde nun dahingehend erweitert, dass innerhalb von ver.di eine »breite Diskussion« über die 30-Stunden-Woche angestoßen werden soll. Arbeitszeit ist mit Blick auf Veränderungen der Arbeitswelt durch Digitalisierung an mehreren Stellen Thema. Konkret spricht sich die Gewerkschaft dafür aus, die Arbeitszeiten bei mobilen Arbeitsplätzen elektronisch zu erfassen sowie bei Mini- und Midijobs lückenlos zu dokumentieren.

Der Hambacher Forst darf nicht dem Braunkohletagebau geopfert werden - darauf einigten sich die Delegierten nach einer emotionalen Debatte mit großer Mehrheit. Ein entsprechender Satz stand zunächst nicht im Leitantrag zu nachhaltiger Politik, sondern unter »ferner liefen« in einem anderen Antrag. Mehrere Delegierte gingen für die Aufnahme des Waldes in den Leitantrag in die Bütt. Man rege sich immer auf, dass in Brasilien der Regenwald gerodet wird, sagte eine, »und hier schaffen wir es noch nicht einmal, einen einzigen Wald zu retten.« Ein Delegierter widersprach, er wolle keine Festlegung auf den einen Wald, weil es so viele bedrohte Gebiete gebe. Aber keines davon sei so ein Symbol wie der »Hambi«, konterte ein anderer. jme

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