Pflegeheime neu bewertet

Prüfsystem soll aussagekräftigere Ergebnisse über die Qualität der Einrichtungen bringen

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit einem neu gestalteten »Pflege-TÜV« soll die Bewertung der Betreuungsqualität von Pflegeeinrichtungen verbessert werden. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sollen ab kommendem Jahr aussagekräftige Informationen über die Qualität der Heime erhalten.

Zwar gibt es ein entsprechendes System bereits seit 2009, doch die Diskrepanz zwischen den vielfach dokumentierten gravierenden Mängeln und den veröffentlichten Bewertungen sorgte für anhaltende Kritik. So erzielten die meisten Heime in zentralen Bereichen regelmäßig Spitzennoten. Das kann kaum verwundern, denn die bisherigen Bewertungen stützten sich in erster Linie auf die Dokumentation durch die Heime selbst, die ein starkes ökonomisches Eigeninteresse an möglichst positiven Benotungen haben. Auch gab es keine klare Gewichtung zwischen verschiedenen Indikatoren. So konnte eine überdurchschnittliche Qualität des Speiseplans Defizite bei der Mobilitätsförderung quasi ausgleichen. Selbst Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) räumte am Dienstag in der ARD ein, das bisherige Benotungssystem für Pflegeheime sei »leider eine Farce« gewesen. Für die Pflegekräfte habe es »viel Papierkram« bedeutet - »und am Ende hatten fast alle Heime die Note 1«.

Der neue Pflege-TÜV wird ab November 2019 ausgerollt. Bis Ende des kommenden Jahres sollen alle rund 13 000 Heime anhand der neuen Kriterien geprüft werden. Die Ergebnisse werden auf den Seiten der Kranken- und Pflegekassen veröffentlicht sowie in den Einrichtungen ausgehängt. Dafür müssen Einrichtungen ab sofort zunächst Angaben zur Qualitätssicherung machen, die im Anschluss von einer Datenauswertungsstelle auf ihre Plausibilität hin überprüft werden. Hinzu kommt eine Qualitätskontrolle durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK).

Die Prüfer sollen jede Einrichtung einmal pro Jahr besuchen und anhand von Stichproben die Qualität der Versorgung ermitteln, wobei persönliche Gespräche mit den Bewohnern eine zentrale Rolle spielen, um der »Aufhübschung« der Realität durch heiminterne Dokumentationen entgegenzuwirken. Beispielsweise wird erfasst, wie mobil und selbstständig die Bewohner sind, wie viele wie oft an Druckgeschwüren oder an den Folgen von Stürzen leiden oder ob ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust eingetreten ist. Als neues Kriterium der Bewertung wird die Unterstützung der Bewohner bei der Gestaltung des Alltagslebens und der sozialen Kontakte eingeführt. »Wir gucken nicht mehr so stark auf Akten, sondern schauen: Was kommt beim Patienten an?«, erklärte Barbara Marnach, Sprecherin des MDK-Nordrhein, am Dienstag im WDR den Paradigmenwechsel.

Statt Schulnoten werden künftig vier Bewertungskategorien für die Prüfkomplexe verwendet: a) Keine Auffälligkeiten oder Defizite, b) Auffälligkeiten, die keine Risiken erwarten lassen, c) Defizit mit Risiko negativer Folgen und d) Defizit mit eingetretenen negativen Folgen. Nach der Prüfung erstellt der MDK einen Bericht für die Pflegekasse und die Pflegeeinrichtung. Bei Mängeln empfehlen die Prüfer zudem konkrete Maßnahmen, um die Defizite zu beseitigen. Die Pflegekasse kann dann Auflagen erteilen, eine Wiederholungsprüfung durch den MDK veranlassen, die Vergütung mindern oder im Extremfall auch den Versorgungsvertrag kündigen.

Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, sprach bei der Vorstellung des neuen Prüfsystems am Dienstag in Berlin von einem »guten Tag für all diejenigen, die sich fundiert und objektiv über Pflegeeinrichtungen informieren wollen«. Auch Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, begrüßte, dass der Pflege-TÜV übersichtlich und eindeutig werden solle. Er kritisierte allerdings, dass es in dem neuen Bewertungssystem »weder eine aussagefähige Gesamtnote noch K.o.-Kriterien geben wird«. Für eine rasche Vergleichbarkeit der Einrichtung sei dies aber dringend notwendig. Wenn Heime beispielsweise bei der Schmerztherapie, der Wundversorgung, dem Umgang mit Fixierung oder der Medikamentengabe durchfallen, »muss dies für den Nutzer sofort erkennbar sein«, forderte Brysch.

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Pia Zimmermann, pflegepolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, hält es für sinnvoll, künftig »die Ergebnisqualität zu überprüfen statt wie bisher die Pflegedokumentation«. Doch Menschen mit Pflegebedarf bräuchten nicht in erster Linie »eine Marktübersicht, sondern verbindliche Standards«. Qualitativ gute Pflege müsse Bestandteil der sozialen Daseinsvorsorge sein. Und »die gehört nicht in die Hände des Marktes, sondern muss vom Gesetzgeber garantiert werden«, so Zimmermann.

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