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Drei Ausrufezeichen - zur Bewahrung von Frieden weltweit

Peter Brandt, Reiner Braun, Michael Müller und Koautoren rufen zum Handeln auf

Si vis pacem, para pacem! - Wer den Frieden will, muss sich für den Frieden einsetzen. Diese Überzeugung eint die Autoren des Bandes. «Wenn es um den Frieden geht, hat jeder das Recht mitzureden. Wir melden uns zu Wort, weil wir den Frieden bedroht sehen», erklären eingangs die Herausgeber Peter Brandt, Reiner Braun und Michael Müller (nicht zu verwechseln mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin). Die Europäer hätten nach 1990, nach dem Ende der Blockkonfrontation des Kalten Krieges, vorangehen müssen, um die Friedensdividende der historischen Stunde zu nutzen. Die Chance wurde verpatzt, lautet ihr bitteres Resümee.

Peter Brandt/ Reiner Braun/Michael Müller (Hg.): Frieden! Jetzt! Überall! Ein Aufruf.
Westend, 336 S., br., 22 €.

Vorangestellt sind den klugen Texten von Wissenschaftlern, Politikern, Künstlern und Friedensaktivisten zwei jüngst veröffentlichte Aufrufe: «Abrüsten statt Aufrüsten» und «Für eine neue Friedens- und Entspannungspolitik jetzt!». Die Namen der Erstunterzeichner sind teils deckungsgleich, einige findet man auch als Autoren in diesem Band.

Der erste Aufruf kritisiert, dass die Bundesregierung die Rüstungsausgaben verdoppeln und auf zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung erhöhen will. Derart würden mindestens 30 Milliarden Euro fehlen - im zivilen Bereich, im Bildungs- und Gesundheitswesen, im sozialen Wohnungsbau und im öffentlichen Nahverkehr, in der kommunalen Infrastruktur, für den ökologischen Umbau und in der Entwicklungshilfe. Konsequent die Schlussfolgerung: «Militär löst keine Probleme. Schluss damit.»

Der zweite Aufruf hat stärker die internationale Dimension im Blick: «Ohne Zusammenarbeit mit Russland drohen weitere Konfrontation und ein neues Wettrüsten ... Europäische Sicherheit wird trotz aller politischen Differenzen ... nur gemeinsam mit Russland möglich sein.» Dies wird als die zentrale Lehre aus der Entspannungspolitik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezeichnet, die sich wesentlich zwei deutschen Sozialdemokraten, Willy Brandt und Egon Bahr, verdankt. Beide werden in den Beiträgen immer wieder angerufen.

Den Auftakt der analytischen Beiträge liefert der Historiker Gerd Krumreich, der einen Rückblick auf den Ersten Weltkrieg bietet. Wichtigste Erkenntnis aus der «Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts» sei: Krieg kennt keine Grenzen, ist unberechenbar, steigert Gewalt und führt zur Dezivilisierung. Wer hätte vor über anderthalb Jahrzehnten geahnt, dass die US-Intervention gegen Irak letztlich die gesamte Region in einen Brandherd verwandeln würde, der noch immer lodert, fragt Krumeich. Man könnte auch fragen, ob nicht ebendies das Ziel verantwortungsloser Strategen im Pentagon war.

Peter Brandt führt in die 20er Jahre, die Weimarer Republik zurück, erinnert an die Verständigungspolitik von Gustav Stresemann, der maßgeblich den Dawes-Plan und die Locarno-Verträge möglich machte und die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund 1926 managte. Natürlich fehlt ein Hinweis auf den 1922 vom deutschen Außenminister Walther Rathenau und dessen sowjetrussischen Kollegen Georgi Tschitscherin geschlossenen Rapallo-Vertrag nicht, ist er doch quasi ein früher Link zur Sicherheitsarchitektur unter Bundeskanzler Brandt gewesen, die sein ältester Sohn zu Recht hier würdigt.

Verdienstvoll ist, dass die Herausgeber (und Autoren) die neoliberale Globalisierung, die weltweite Entfesselung des Kapitalismus, zunehmende soziale Spannungen und die globalen ökologischen Herausforderungen im engen Kontext zur alles entscheidenden Frage «Krieg oder Frieden?» sehen. «Das Wichtigste für den Frieden bleibt aber eine gesellschaftliche Ordnung, die Freiheit, Gerechtigkeit und Fortschritt verspricht, die weltweit zur Hoffnung und zum Vorbild wird. Sie muss Grundlage einer Weltinnenpolitik werden.»

Rolf Mützenich (SPD) lobt den sogenannten Brandt-Bericht der UN von 1980, «Das Überleben sichern. Gemeinsame Interessen der Industrie und Entwicklungsländer», dessen Forderung nach einer kooperativen Weltordnung nach wie vor aktuell sei. Ernst Ulrich von Weizsäcker appelliert an die Verantwortung der Wissenschaftler in ihrer Forschung. Der US-Ökonom Daniel Ellsberg, der 1971 die streng geheimen Pentagon-Papiere veröffentlichte, fordert sofortige Abrüstung; die Verantwortlichen in Russland und Amerika müssten aus «dem gemeinsamen Schlafwandeln» erweckt werden.

Reiner Braun, Geschäftsführer der International Association of Lawyers against Nuclear Arms, IALANA, nennt Aufrüstung einen permanenten Verstoß gegen die Menschenrechte. Und der langjährige verdi-Chef Frank Bsirske ist überzeugt: «Ein besseres Leben ist möglich: ohne Aufrüstung!» Sahra Wagenknecht (LINKE) fragt: «Wie viel besser könnte es auf dieser Welt aussehen, wenn man die Billionensumme, die jährlich weltweit für Rüstung verschwendet wird, für die Lösung globaler Probleme eingesetzt hätte?» Jürgen Trittin (Grüne) weiß: Soziale Spaltung und nationaler Egoismus schüren Krisen und Krieg. Matthias Platzeck (SPD) kritisiert den diffamierenden Begriff «Russland-Versteher»: Russland gehöre zu Europa, «unverrückbar», wie Bahr sagte. Gernot Erler (SPD) betont: «Entspannung braucht Vertrauen.» Die Suche nach neuen, zeitgemäßen vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen müsse intensiviert werden.«

Dieses Buch mit den drei Ausrufezeichen im Titel ist eine Schatztruhe überzeugender Argumente, warum und wie der Frieden gewonnen und bewahrt werden kann und muss.

Karlen Vesper

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