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Provokationen unerwünscht

Kurdische und türkische Organisationen in Berlin rufen zur Besonnenheit auf

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

Anlässlich vereinzelter Auseinandersetzungen zwischen Kurd*innen und türkischen Passant*innen bei den Protesten in Berlin gegen den türkischen Angriffskrieg auf Rojava, rufen kurdische und türkische Organisationen zur Besonnenheit auf. Man dürfe sich am Rande von Demonstrationen nicht provozieren lassen, sagte Riza Baran, Sprecher der kurdischen Gemeinde in Berlin und Brandenburg. »Wir lassen uns das Zusammenleben vieler Nationalitäten in Berlin nicht kaputt machen.« Auseinandersetzungen zwischen Türk*innen und Kurd*innen müsse man mit Ruhe und Besonnenheit begegnen, auch wenn dies nicht immer einfach sei, weil viele in der Gemeinde Verwandte in der Türkei und in Nordsyrien hätten.

Seit die Türkei am Mittwoch vergangener Woche das autonom verwaltete kurdische Gebiet Rojava im Norden Syriens angegriffen hat, hat es in Berlin mehrere Solidaritätsdemonstrationen für das demokratische, feministische, ökologische und multiethnische Projekt gegeben. Am Rande war es dabei zu Zusammenstößen zwischen kurdischen Demonstrant*innen und türkischen Passant*innen gekommen, nachdem diese den sogenannten Wolfsgruß, ein Erkennungs- und Grußzeichen der türkischen rechtsextremistischen Grauen Wölfe, gezeigt hatten.

Das Demokratische Gesellschaftszentrum der Kurd*innen Nav-Dem sieht trotzdem keinen Grund zur Sorge: »Das ist kein Konflikt zwischen den Kurden und den Türken, sondern ein Konflikt mit dem türkischen Staat«, sagte Sprecher Ali Cicek. Ähnlich äußert sich Michael Hellstein von der internationalistischen Kampagne Riseup4Rojava (Erhebt euch für Rojava), die zu den Demonstrationen aufgerufen hatte. »Wir sehen keinen ethnischen Konflikt zwischen Türken und Kurden. Wir sehen einen Konflikt zwischen einem faschistischen Staat, der Türkei, und einer demokratisch-sozialistischen Bewegung«, sagte Hellstein zu »nd«.

Auch die Protestaktionen richteten sich nicht gegen Türken, so Hellstein weiter, sondern gegen die Profiteure des Krieges. So würden sich viele Menschen aus der Türkei an den Demonstrationen beteiligen. »Es geht gegen den Angriffskrieg, gegen den Genozid, gegen Kolonialismus.« Angesichts der Umstände sei die Stimmung »friedlich und ruhig«. So habe es nie einen unprovozierten Angriff seitens der Demonstrant*innen gegeben. Für die wütenden Reaktionen einiger Kurd*innen auf das Zeigen des Wolfsgrußes zeigt Hellstein Verständnis: »Für viele Menschen auf den Demonstrationen ist es das Symbol des Genozids an ihren Familien.«

Kritik äußert Riseup4Rojava (R4R) indes am Vorgehen der Polizei: »Die Polizei hat völlig unprovoziert eine friedliche Demonstration angegriffen«, sagte Hellstein. Bei den Demonstrationen am Donnerstagabend und am Samstag waren mehrere Demonstrant*innen unter anderem wegen des Einsatzes von Pyrotechnik festgenommen worden.

»Gewalt kann niemals eine Lösung sein«, sagte am Mittwoch Ayşe Demir vom Türkischen Bund Berlin Brandenburg (TBB) dem »nd« und appelliert an alle politischen Gruppen, sich friedlich zu verhalten. Demir ist jedoch zuversichtlich, dass sich die Spannungen, wie schon in der Vergangenheit, im Rahmen halten. »In Berlin leben viele Menschen mit unterschiedlichen politischen Ansichten, was die Türkei-Politik angeht, friedlich auf engstem Raum zusammen, weil man im Alltag viel miteinander zu tun hat«, zeigt sich Demir zuversichtlich.

Für die nächsten Tage kündigten R4R und die feministische Kampagne Women Defend Rojava weitere Aktionen des zivilen Ungehorsams an. Nach den Blockaden unter anderem des Bundeswehrbüros in Berlin-Mitte und der Niederlassungen der Rüstungskonzerne Rheinmetall und Thyssenkrupp am Montag, veranstalteten die Aktivist*innen am Mittwoch Go-ins in verschiedenen Medienhäusern in der Hauptstadt, um gegen deren »einseitige und zu geringe Berichterstattung« zu protestieren.

Für Freitag rufen R4R und Women Defend Rojava gemeinsam mit Aktivist*innen von Fridays4Future zu »Fridays4Peace« auf. Dabei soll »vor oder in Büros, Verkaufstätten oder Fabriken von Klimasündern und gleichzeitigen Waffenexporteuren gegen den Krieg und für den Klimaschutz« demonstriert werden. Ein Ziel dabei sollen die Niederlassungen von Mercedes sein. Dieser sei »nicht nur notorischer Umweltsünder, sondern produziert auch für die türkische Armee«, heißt es in dem Aufruf. Für Samstag sind in mehreren Städten Großdemonstrationen geplant, in Berlin für 13 Uhr am Potsdamer Platz.

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