Werbung

Demonstrierende im Einsatz

Ulrike Wagener listet das ABC bürokratisierter Polizeigewalt auf

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 2 Min.

»Wieder Gewalt bei Demonstrationen«: Diese Schlagzeile liest man dieser Tage allerorten; sie scheint beliebig einsetzbar, ob für Hongkong, Irak, Katalonien oder die Kurden in Deutschland. Die Gewalt geht in diesem Szenario verlässlich von den Demonstrierenden aus. Zwar bringen die meisten Beiträge durchaus Verständnis für die Gründe der Proteste auf. Die Rede ist von »Perspektivlosigkeit« (Irak), »eingeschränkter Freiheit« (Hongkong), »harten Gerichtsurteilen« (Katalonien) oder der »türkischen Militäroffensive« (Kurden in Deutschland).

Geht es jedoch um Gewalt, sind Demonstrant*innen in diesem Szenario immer nur Subjekt, nie Objekt. Sie zünden Abfalleimer an, schlagen Scheiben ein und werfen Molotowcocktails und Böller auf »Sicherheitskräfte« oder versuchen, Polizeisperren zu durchbrechen und das Parlament zu stürmen. Obwohl sich ihre Gewalt - in den meisten Fällen - gegen Sachen richtet, sind sie in diesen Berichten stets die Agierenden. Besagte »Sicherheitskräfte« hingegen, so wird die Polizei im Kontext von Demonstrationen gerne genannt, reagieren ausschließlich auf diese Gewalt, etwa versuchen sie, »die Menge mit Tränengas, Blendgranaten und Wasserwerfern zurückzuhalten«.

Die Polizei setzt Tränengas ein, Gummigeschosse oder Wasserwerfer; manchmal wendet sie auch Schmerzgriffe an. Doch während gern noch jede verwüstete Bankfiliale und jedes angezündete Auto einzeln bemitleidet wird, zeichnet die Sprache über die Gewalt der Polizei gerade ihr Verzicht auf ein Objekt aus. Und so verschwindet die Tatsache, dass reale Menschen von diesen »Einsätzen« betroffen sind. Polizeiliche Gewalt versinkt in bürokratisch-verklausulierten und passiv formulierten Ausdrücken. Demonstrant*innen verwüsten und zünden an; die Polizei ist im Einsatz. Mit Ausnahme vielleicht von Schusswaffen; hier heißt es aktiv: »Ein Polizist feuerte einen Schuss ab.« Doch auch das vermag das Image der Gewalt administrierenden »Sicherheitskräfte« zu wahren; denn Akteur ist auch hier nicht »die Polizei«, sondern ein Individuum.

An einem Einsatz der Sicherheitskräfte kann nichts falsch sein, diese Legitimität staatlicher Gewalt wird durch diese sprachlichen Wendungen gesichert. Denn wie anders würde es schon klingen, läse man »Demonstrierende waren im Einsatz.« Wie legitim ist es dann noch, sie mit Blendgranaten zu beschießen? Was bleibt ist der Satz: »Wieder Gewalt bei Demonstrationen«.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal