Widerspruch und Wirklichkeit in Eisenach

Die Neonazi-Szene hat trotz der rot-rot-grünen Landesregierung Oberwasser bekommen

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist noch gar nicht so lange her, da hat Ramon aus nächster Nähe erfahren, wie es ist, in einer Stadt zu leben, in der Neonazis ganz präsent, ganz stark sind. Mal wieder hat er es erlebt. Am frühen Abend war er mit einem Freund in einem Schnellimbiss, als er und sein Begleiter von einem Neonazi angegriffen wurden.

»Der hat meinen Freund über die Tische geboxt«, sagt Ramon, der eigentlich so nicht heißt, aber dessen Namen aus Sicherheitsgründen hier nicht genannt wird. Er sagt das ohne jede Emotion in der Stimme. So alltäglich erscheinen ihm Übergriffe von Rechtsextremen inzwischen. Obwohl er mitten in einer Stadt lebt, in der die LINKE mit Katja Wolf die Oberbürgermeisterin stellt.

Klingt wie ein großer Widerspruch? Immerhin hat die Koalition aus LINKE, SPD und Grünen in Thüringen den Kampf gegen Rechtsextremismus in den vergangenen fünf Jahren so intensiv geführt wie kein anderes Regierungsbündnis seit 1989. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) hat - bei aller Kritik, die man an ihm in Detailfragen üben kann - die Behörden im Land beispielsweise dazu gebracht, sich etwas einfallen zu lassen, um Rechtsrock-Konzerte so gut es geht zu verhindern; in einer spannungsreichen Zusammenarbeit unter anderem mit der LINKEN-Landtagsabgeordneten Katharina König-Preuss, die wie niemand sonst die Thüringer Neonazi-Szene kennt.

Das, was in Eisenach, aber auch in Themar oder Kahla im Kleinen geschieht, ist ein Widerspruch zum engagierten Kampf gegen Rechts, der unter Rot-Rot-Grün in Thüringen geführt worden ist. Dieser Widerspruch gehört offenbar zur Lebenswirklichkeit im Freistaat dazu.

In Eisenach ist dieser Widerspruch allgegenwärtig. Für jeden zu sehen und zu hören. Selbst dann, wenn er oder sie nur durch die Stadt geht: Neonazi-Graffiti und -Aufkleber sind im Stadtbild ziemlich präsent. Angehörige der rechten Szene geben sich keinerlei Mühe, ihre politische Gesinnung zu verschleiern, wenn sie durch die Straßen ziehen. Auch dann nicht, wenn einer von ihnen vor Gericht steht.

Als ein Neonazi Anfang 2019 wegen einer Vielzahl von Straftaten der Prozess gemacht wurde, erklärte der Mann vor dem Richter frei heraus, er sei ein »Rechtsaktivist«. Für Ramon und seine Freunde, die sich einem linksalternativen Milieu zurechnen, bedeutet dieser Widerspruch, dass sie ständig mit der Gefahr leben, von Neonazis überfallen zu werden.

Nach Einschätzung von König-Preuss sind es mehrere Faktoren, die dazu geführt haben, dass die Neonazi-Szene in Eisenach in den vergangenen Jahren so stark geworden ist; Faktoren, die unabhängig von Rot-Rot-Grün sind. »Neonazis machen ihre Aktivitäten nicht davon abhängig, wer regiert - außer sie oder eine ihr nahestehende Partei regieren«, sagt sie.

Zum einen sei die rechte Szene unmittelbar nach dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrundes in den Jahren 2012 bis 2014 bundesweit in die Defensive geraten. Doch habe der Druck der Sicherheitsbehörden, aber auch der Öffentlichkeit anschließend wieder nachgelassen. Zudem, erläutert König-Preuss, habe die Szene mit dem sogenannten Flieder Volkshaus in Eisenach vor etwa fünf Jahren eine Immobilie übernommen, die heute ein wichtiger Stützpunkt der Neonazis nicht nur in der Stadt, sondern in der gesamten Region sei.

Vor allem Letzteres sieht auch Ramon so. Es sei alles andere als ein Zufall, dass die rechtsextreme Kampfsportgruppe Knockout-51 seit Anfang 2019 in diesem Haus trainiere, sagt er. Gleichzeitig sei die Immobilie aber immer wieder auch ein Anlaufpunkt für »Menschen aus der sogenannten bürgerlichen Mitte«, wenn dort Familienfeste oder Ähnliches stattfänden. Wozu passt, dass ausgerechnet der NPD-Funktionär Patrick Wieschke bei der Kommunalwahl in Eisenach im Mai genau 4600 Stimmen erhielt. Nur Wolf bekam noch mehr Stimmen als er.

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Worin sich Ramon und König-Preuss noch einig sind: Das, was die Polizei an politisch rechts-motivierten Straftaten in Eisenach mitbekommt, »ist nur die Spitze des Eisberges«, wie Ramon es formuliert. Nach Angaben der Landespolizeidirektion wurde 2018 in Eisenach nur eine einzige rechtsmotivierte Gewalttat in die Statistik aufgenommen; 2016 und 2017 waren es jeweils fünf, 2015 waren es sieben entsprechende Straftaten gewesen. Die Zahl der registrierten Propagandadelikte pendelte in diesem Zeitraum zwischen 25 und 35 pro Jahr.

Wie hart oder lasch Polizisten in der Stadt gegen rechtsmotivierte Straftäter vorgehen, hängt nach Einschätzung von Ramon und König-Preuss maßgeblich von Personen ab. So berichten beide davon, dass es einzelne Beamte und Polizeiführer gebe, die der Szene durchaus hart zusetzten; während andere die Bedrohung völlig unterschätzten.

Als er und sein Freund in dem Schnellimbiss angegriffen worden seien, sagt Ramon, seien zwei Polizisten nach 15 Minuten am Tatort aufgetaucht. Einer der Beamten hätte seinem geschlagenen Freund dann mit Blick auf die Aufnahme einer Anzeige gesagt: »Kommen Sie in den nächsten Tagen mal auf eine Dienststelle.«

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