Tote in Lkw vermutlich aus Vietnam

Hanois Diplomaten in London sind angewiesen, bei der Identifizierung mitzuarbeiten

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

Bei den 39 Toten, die letzten Mittwoch in einem Kühltransporter nahe London gefunden wurden, handelt es sich vermutlich um Flüchtlinge aus Vietnam. Die Polizei war zunächst von chinesischen Toten ausgegangen, weil einige von ihnen chinesische Pässe bei sich trugen. Doch diese könnten gefälscht sein.

Hinweise auf eine vietnamesische Identität kamen von Angehörigen, die seit Mittwoch ihre Kinder vermissen. Einem Bericht der britischen BBC zufolge soll die 26-jährige Pham Thi Tra Mai wenige Stunden vor dem Leichenfund eine SMS an ihre Mutter in Vietnam gesendet haben: »Es tut mir leid, Mama. Meine Reise ins Ausland war nicht erfolgreich. Mama, ich liebe dich so sehr! Ich sterbe, weil ich nicht mehr atmen kann.« Die junge Frau soll ihrer Familie zufolge 30 000 britische Pfund für die illegale Reise nach Großbritannien gezahlt haben. Nach dem Bericht der BBC, die auch in vietnamesischer Sprache sendet und in Vietnam viele Hörer hat, wandten sich weitere Familien, die Angehörige vermissen, an den Sender. Beispielsweise der Vater eines 20-jährigen Sohnes aus Zentralvietnam. Der Sohn habe sich nicht mehr gemeldet, seit er letzte Woche sagte, er werde mit einer Gruppe von Paris nach London fahren. Der Sohn lebt seit zwei Jahren im Ausland, zunächst arbeitete er in Russland. 2018 sei er nach Deutschland gekommen.

Am Samstag gab es in einer katholischen Gemeinde der zentralvietnamesischen Provinz Nghe An, aus der mehrere Menschen vermisst werden, einen Gedenkgottesdienst mit 500 Teilnehmern. Pater Anton Dang Huu Nam sagte der Nachrichtenagentur Reuters, er stehe in Kontakt mit Familienangehörigen der mutmaßlichen Opfer und habe den britischen Behörden Fotos der Vermissten übermittelt. Auch vietnamesische Diplomaten in London wurden angewiesen, bei der Identifizierung der Toten zu helfen. Offiziell identifiziert sind sie noch nicht. Dennoch kursieren in sozialen Netzwerken von Vietnamesen Angaben, denen zufolge 25 der 39 Toten aus der Provinz Nghe An und eine unbekannte Zahl Weiterer aus der Provinz Ha Tinh stammen sollen.

Beide Provinzen liegen in dem vom Wirtschaftsaufschwung in Fernost abgehangenen und vom globalen Klimawandel stark betroffenen Zentralvietnam. Seit einer Generation sehen junge Menschen den Ausweg aus dem Elend in der Migration ins Ausland. Politische und religiöse Motive spielen für die Auswanderung nur in Einzelfällen eine Rolle, meist sind es wirtschaftliche Motive.

Vor zwanzig Jahren haben Familien ihre Häuser verpfändet, um Familienangehörigen diesen Weg zu ermöglichen. Die Auswanderer standen dann unter Druck, das Geld zurückzuzahlen und im Anschluss ihre zurückgebliebenen Familienmitglieder zu ernähren. Das ging in der Regel nur auf illegalem Weg und am besten in Großbritannien. Dort floriert der Drogenanbau: In stillgelegten Bauerngehöften bauten vietnamesische Zimmergärtner Cannabis an. Gelang es ihnen, zwei oder drei Ernten einzubringen, bis sie entdeckt wurden, war der Schleuserlohn eingespielt.

Inzwischen wird der Schleuserlohn häufiger von Familienangehörigen gezahlt, die bereits in Europa leben. Die Neuankommenden bleiben oft auf ihrem Weg nach Großbritannien in Deutschland hängen. Hier müssen sie das Geld verdienen, dass sie zurückzahlen müssen - oft in Nagelstudios, der Gastronomie oder als Hausangestellte in vietnamesischen Familien.

Gegen den 25-jährigen nordirischen Fahrer des Lkw wurde inzwischen Anklage wegen Totschlag in 39 Fällen, die Beteiligung an Menschenhandel und Beihilfe zur illegalen Einwanderung erhoben, so die Polizei der Grafschaft Essex.

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