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Solidarität als Wohnform

In Weißensee entsteht eine Holzbausiedlung für Geflüchtete, Sozialträger und Familien

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Holzbausiedlung in Berlin-Weißensee sieht von außen schon recht fertig aus. Die Häuser stehen bereits, auch die Fassaden sind schon verputzt und gestrichen. Lediglich im Inneren ist es noch mehr Rohbau als Wohlfühl-Feeling in den eigenen vier Wänden. Ein bisschen Zeit bleibt den Bauarbeiter*innen aber noch, bis die ersten Menschen hier einziehen werden: Im Januar 2020 soll der erste Block des »Quartier Wir« fertig sein, der Rest soll bis spätestens Juni bezugsfertig sein.

»Es ist ein sehr ambitioniertes Projekt und ein Stück weit auch ein Abenteuer«, sagt Udo Knapp, Vorstand der Baugenossenschaft BeGeno16, am Montag bei der Vorstellung des neuen Quartiers. In dem ruhigen Wohngebiet soll nicht nur eine der größten Holzbausiedlungen Berlins entstehen, sondern auch eine einzigartige sozial und kulturelle gemischte Einwohnerschaft. Gut ein Drittel der 160 Wohnungen soll an soziale Träger gehen, sechs Wohnungen werden Geflüchteten zur Verfügung gestellt.

Der Zugang zu Sozialwohnungen ist Flüchtlingen in der Regel verwehrt, da sie keinen Wohnberechtigungsschein (WBS) erhalten. Rund die Hälfte der Menschen in Flüchtlingsunterkünften haben Anspruch auf eine Wohnung - finden aber keine. Und selbst wenn sie eine finden, sind sie häufig sozial isoliert. Das will BeGEno16 in Kooperation mit dem Verein Xenion - Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte ändern. »Wir haben eine gute Willkommenskultur, wir wollen hier auch eine gute Ankommenskultur schaffen«, sagt Xenion- Mitarbeiterin Bea Fünfrocken.

Dieser integrative Ansatz soll in dem neuen Quartier auch baulich umgesetzt werden, wie Udo Knapp erklärt. Im Mittelpunkt des neuen Quartiers sollen die Lebensqualität und das Zusammenleben der Bewohner*innen stehen. »Bei uns gibt es keine Zäune, hier ist alles offen.« Zusätzlich zu den normalen Wohneinheiten soll es sogenannte Clusterwohnungen geben, eine Art Mischung aus Wohngemeinschaft und Kleinwohnung. Jeder Bewohner hat dabei sein eigenes Mini-Apartment mit Bad und Küche, zusätzlich gibt es noch einen Gemeinschaftsraum. Auch die Dachterrassen und ein Schwimmbad können von allen Bewohner*innen des Quartiers gemeinsam genutzt werden.

Eine der Clusterwohnungen ist für junge Geflüchtete vorgesehen, doch auch soziale Einrichtungen sollen davon profitieren. »Soziale Träger brauchen große Wohnungen, die sie auf dem Wohnungsmarkt nicht finden. Im Gegenteil, viele fliegen aus ihren Räumen raus«, so Knapp. Im »Quartier Wir« sollen diese Projekte ein Zuhause finden. So soll es unter anderem eine Wohngemeinschaft für Behinderte sowie eine für Demenzkranke geben, auch eine kleine Kita mit 25 Plätzen sowie ein Ausbildungsrestaurant der SozDia Stiftung Berlin ist eingeplant.

Ein kleiner Anteil der Wohnungen wird für 8,75 Euro pro Quadratmeter vermietet, wird also von der Grundsicherung übernommen. Die übrigen Wohnungen kosten elf Euro kalt beziehungsweise 14 Euro warm. »Das ist viel zu viel, aber günstiger ist es ohne öffentliche Förderung nicht zu machen«, sagt Knapp. Zumal mit den höheren Mietpreisen die günstigeren mitfinanziert werden. »Eine ganz praktische Form der Solidarität«, nennt das Knapp. 75 Prozent der Wohnungen seien bereits vergeben.

500 Euro Beitrittsgebühr zur Genossenschaft müssen die Mieter*innen einmalig bezahlen, dazu kommen noch Genossenschaftsanteile. Bei den Wohnungen für Geflüchtete werden diese durch Kleinkredite von Privatpersonen finanziert. Von den benötigten 250 000 Euro sind so schon 160 000 Euro zusammengekommen. Zusätzlich sammelt die Stiftung trias Spenden für das Projekt.

»Eigentlich müssten das, was wir machen, alle machen«, findet Udo Knapp. Vom Senat gebe es jedoch für solche Projekte keine Unterstützung. Der setze beim Wohnungsbau vor allem auf die landeseigenen Unternehmen. Der baupolitische Sprecher der Grünenfraktion, Andreas Otto, sieht im »Quartier Wir« ein »Vorbildprojekt« und wünscht sich mehr Unterstützung durch den Senat. Bei der Öffnung des Wohnberechtigungsscheins für Geflüchtete sieht er jedoch keinen Handlungsbedarf. »Der WBS alleine nutzt nicht so viel«, so Otto, schließlich gebe es ohnehin zu wenig Sozialwohnungen. Das lässt Bea Fünfrocken nicht gelten: »Man kann auf einen Mangel nicht mit dem Ausschluss einer bestimmten Bevölkerungsgruppe reagieren, das ist reaktionär.«

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