Bei der Armutsbekämpfung versagt

Schwarz-Rot hat zur Halbzeit viele Vorhaben umgesetzt, ignoriert aber Missstände.

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Von Euphorie war nichts zu spüren, als die Spitzen der Großen Koalition am Mittwoch ihre Halbzeitbilanz präsentierten. Anlässlich der Übergabe des Jahresgutachtens der »Wirtschaftsweisen« stellten sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Stellvertreter Olaf Scholz (SPD) an die Mikrofone im Kanzleramt. Koalition und Regierung seien »arbeitsfähig und arbeitswillig«, sagte Merkel. Er sehe »große Fortschritte« bei der sozialen Sicherung, der Familienpolitik sowie beim Thema Wohnen und Mieten, assistierte Finanzminister Scholz.

Viel Eigenlob, aber eben auch keine Feierstimmung. Denn es ist fraglich, ob die Große Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode weitermachen wird. Im Dezember entscheidet der SPD-Bundesparteitag darüber, ob sich die Partei weiter an die Union binden will. Die linke SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis sprach in diesen Tagen aus, was wohl auch viele andere kritische Sozialdemokraten denken: »Die Wahlergebnisse der vergangenen Landtagswahlen reichen doch als Halbzeitbilanz für die Große Koalition völlig aus.«

CDU und SPD hatten zuletzt in drei ostdeutschen Bundesländern deutlich an Zustimmung verloren. Auch im Bund geht es für sie nach aktuellen Umfragen bergab. Wem die Gesetzesverschärfungen in der Innen- und Asylpolitik nicht weit genug gehen, der wechselt zur AfD. Wähler, die einen ernsthaften Kampf gegen den Klimawandel fordern, vertrauen eher den Grünen als den Koalitionsparteien.

Doch es gibt noch eine dritte Gruppe, welche im öffentlichen Diskurs nur selten eine Rolle spielt. Es geht um die Nichtwähler, die bundesweit zahlenmäßig stärker sind als die SPD-Wähler. Bei der Bundestagswahl 2017 lag die Beteiligung bei 75 Prozent. Statistiken belegen, dass arme Menschen seltener wählen gehen als Wohlhabende und sich oft nicht in der Politik vertreten fühlen. Hinzu kommen Migranten, die in Armut leben und hierzulande nicht wählen dürfen.

Für diese Menschen hat die Bundesregierung zu wenig getan. Im Dezember vergangenen Jahres berichtete der Paritätische Gesamtverband, dass trotz Wirtschaftsbooms 13,7 Millionen Menschen im wohlhabenden Deutschland von Armut betroffen seien. Mit 16,8 Prozent der Bevölkerung sei »eine neue traurige Rekordmarke seit der Vereinigung erreicht«, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Zahlreiche Menschen, wie etwa die 800 000 Wohnungslosen, sind in der Statistik gar nicht erfasst.

Es gibt eine Reihe von Ursachen für die Armutsentwicklung. Eine ist das Hartz-IV-Regime, das dazu geführt hat, dass Betroffenen das Existenzminimum gestrichen werden kann. Erst das neue Urteil des Bundesverfassungsgerichts bringt hier nun Änderungen. Allerdings werden auch die von den Karlsruher Richtern erlaubten Kürzungen von bis zu 30 Prozent dazu führen, dass Menschen weiter in Armut abrutschen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die in einigen Städten rasant steigenden Mieten. Nach Angaben des Paritätischen Gesamtverbandes beeinflussen Mietkosten in den Städten wesentlich das Armutsrisiko. Die sogenannte Mietpreisbremse der Großen Koalition funktioniert kaum, weil sie beispielsweise bei Neuverträgen Mieten von bis zu zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete zulässt.

Das heißt aber nicht, dass sozialpolitisch in den vergangenen Monaten nichts passiert ist. Geringverdiener sollen wenigstens etwas mehr Geld in der Tasche haben als bisher. Der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke sagte kürzlich laut »tagesschau.de«, dass die Große Koalition vor allem in den sozialen Fragen, Mindestlohn und vielen anderen Bereichen einiges geleistet habe. Das könnten sich vor allem die Sozialdemokraten auf die Fahnen schreiben.

Zu Beginn des nächsten Jahres kommt der Mindestlohn für Auszubildende. Sie erhalten dann mindestens 515 Euro im Monat. Andere Maßnahmen kommen vor allem Menschen aus der Mittelschicht zugute. So kehrte Schwarz-Rot zurück zum paritätischen Modell, in dem Unternehmer und Beschäftigte die Krankenversicherung wieder mit gleich großen Anteilen finanzieren. Bei anderen Themen tut die Union jedoch alles dafür, um die kleinen von der SPD angestoßenen sozialen Verbesserungen zu verwässern. Ein Beispiel hierfür ist die Grundrente für langjährig Versicherte mit niedrigen Renten, über die am Sonntag erneut im Koalitionsausschuss diskutiert wird. Ein Streitpunkt ist die von der Union geforderte Bedürftigkeitsprüfung.

Auch bei der Einschränkung von sachgrundlosen Befristungen von Arbeitsverhältnissen kommt die Große Koalition bislang nicht voran. Diese steht nach Angaben des Arbeitsministeriums »weiterhin auf der Agenda der Bundesregierung«. An den Details werde zurzeit noch gearbeitet. Mit dieser Maßnahme könnten prekäre Beschäftigungsverhältnisse eingedämmt und damit auch Armutsgefährdung zumindest verringert werden.

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