Rechtswidrige Behinderung der Berichterstattung

Berliner Gericht stuft Entzug der Akkreditierung von mehr als 30 Journalisten beim G20-Gipfel als illegal ein

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 3 Min.

Können Journalist*innen eine Gefahr sein? Diese Frage stellte sich am Mittwochmorgen das Berliner Verwaltungsgericht. Ob eine angebliche Nähe zu »Linksextremisten« den Entzug einer Akkreditierung rechtfertigt, wie während des G20-Gipfels in Hamburg 2017 geschehen, wollte das Gericht nun klären. Denn acht von den Maßnahmen betroffene Journalist*innen hatten dagegen Beschwerde erhoben. Die Klagen von zwei Männern wurden nun verhandelt. Das Gericht gab ihnen recht und erklärte den Ausschluss von der Berichterstattung für rechtswidrig.

Was war passiert? Einen Tag nach Beginn des Gipfels Anfang Juli 2017 war 32 Journalist*innen die bereits erteilte Zugangsberechtigung zur Sicherheitszone plötzlich wieder entzogen worden. Grundlage seien Erkenntnisse aus internen polizeilichen Verbunddateien und des Verfassungsschutzes gewesen, erklärte der Anwalt, der die Bundesregierung in dem Verfahren vertritt. Die Sicherheitslage habe sich durch die Ausschreitungen während der »Welcome to Hell«-Demo verändert. Die Journalist*innen, denen eine Nähe zur »linksextremen Szene« unterstellt worden war, seien als potenzielle Störer eingestuft worden.

Schon das kritisierten die acht Betroffenen, die bereits wenige Wochen später Klage eingereicht hatten. Nur wegen ihrer Berichte über linke Proteste würden sie in »Sippenhaft« genommen. In den Augen des Geheimdienstes würden sie allein dadurch schon zu Sympathisant*innen oder gar zu Aktivist*innen.

Ausschlaggebend für den Entzug der Akkreditierungen war nach Angaben von Stefan Russ vom Bundeskriminalamt, dass eine »Gewaltwelle« durch die Stadt gelaufen sei. In dieser angespannten Lage habe man sich für eine »Null-Risiko-Strategie« entschieden, erklärte er. Dass dieses Vorgehen juristische Folgen haben würde, habe man in Kauf genommen. Das BKA hatte dem Presseamt den Entzug der Akkreditierungen empfohlen.

Weiter begründet wurde die Zutrittsverweigerung damit, dass ein »Rädelsführer« der »Autonomen Antifa«, der das verbotene Portal »Indymedia« mitbetrieben haben soll, im Internet mit seiner Akkreditierung geprahlt habe. Beweise dafür legte die das BKA nicht vor.

Einer der Kläger ist Sebastian Friedrich, freier Mitarbeiter des NDR und Autor dieser Zeitung. Vom G20-Gipfel hat er indes als Redakteur der linken Zeitschrift »Analyse & Kritik« (ak) berichtet. Während der Tagung von Staats- und Regierungschefs sowie Wirtschaftsvertretern in der Hansestadt sei die Einschränkung von Grundrechten dauerhaft zu spüren gewesen, sagte er »nd«.

Vom Prozess erwartete er sich vor allem Aufklärung. »Ich hoffe, dass wir gewinnen«, hatte er vor der Verhandlung im Gespräch mit »nd« gesagt. Einen G20-Gipfel in Hamburg gäbe es wohl so schnell nicht noch einmal. Die Rechtsprechung im Sinne der Kläger sei ein Zeichen für die Pressefreiheit. Die sieht er - genau wie andere Grundrechte - durch einen immer autoritärer agierenden Staat gefährdet.

Vertreten werden die Journalist*innen von Medienanwalt Frank Venetis, die Gewerkschaft ver.di unterstützt sie bei ihren Klagen. »Der Entzug der Akkreditierungen war ein Eingriff in die Grundrechte«, sagte er gegenüber »nd«. Eine solche Maßnahme sei zwar rechtlich möglich, wenn Informationen auftauchten, die nicht schon vorher bekannt waren. Genau das sei aber nicht der Fall: Die Informationen über die Betroffenen haben sich keineswegs geändert, sondern nur die allgemeine Lage. Dem Presseamt hätten durchaus andere Möglichkeiten zur Verfügung gestanden, beispielsweise eine Begleitung der verdächtigten Personen auf dem Gelände. Das BKA hielt dagegen, dies wäre nicht zu bewältigen gewesen, obwohl während des Gipfels rund 31 000 Polizisten im Einsatz waren.

Venetis kritisiert an dem Vorgehen, dass alle für gefährlich gehaltenen Berichterstatter*innen ohne konkreten Verdacht ausgeschlossen wurden. Friedrich wurde im Nachhinein zur Begründung mitgeteilt, er sei Teil der linksextremen Szene in Berlin. Die Absicht, während des Gipfels eine Straftat zu begehen, konnte allerdings keinem der Betroffenen nachgewiesen werden.

Dass das Verwaltungsgericht der Sichtweise der Kläger folgte, ist ein ermutigendes Signal für die noch kommenden Verfahren. Gleichwohl werde in jedem Fall einzeln entschieden, sagt Anwalt Venetis.

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