Alle büßen für ein paar Betrüger

Russlands Sportfunktionäre scheinen beim Thema Doping weiter zu manipulieren. Nun droht der Olympiaausschluss

Die Saga rund um staatlich gelenktes Doping in Russland will einfach nicht enden. Acht Monate vor den Olympischen Sommerspielen in Tokio deutet sogar viel auf einen neuen Höhepunkt hin. Immerhin dürfte mittlerweile der Titel des Stücks klar sein: »Die Unbelehrbaren«. Denn nach der Empfehlung einer Untersuchungskommission der Welt-Antidoping-Agentur WADA vom Freitag droht Russland erneut ein Olympiaausschluss.

Auch fünf Jahre nach Auffliegen des wohl größten Dopingbetrugs der Sportgeschichte ist von Einsicht in Russland nichts zu spüren. Der Reihe nach: 2014 wird erstmals über Dopingvertuschung berichtet. Sonderermittler Richard McLaren deckt zwei Jahre später detailliert auf, wie Russlands Betrugssystem funktionierte: Erst wurde gedopt, dann intern kontrolliert und positive Analyseergebnisse anschließend vertuscht. Das Moskauer Kontrolllabor, die nationale Antidoping-Agentur RUSADA sowie hohe Beamte des Sportministeriums halfen dabei, die internationalen Antidoping-Regeln zu umgehen. Eigene Prüfberichte des Internationalen Olympischen Komitees über Manipulationen bei den Winterspielen 2014 in Sotschi bestätigten die Ergebnisse.

Das hatte besonders für die Sportler schwere Auswirkungen. Russlands Leichtathleten sind seit 2015 gesperrt. Nur all jene, die nachweislich nicht in Russland trainieren, dürfen unter neutraler Flagge starten. Das Russische Olympische Komitee wurde für die Winterspiele 2018 suspendiert, einige unter Verdacht stehende Sportler gar nicht zugelassen, andere nur als neutrale Athleten.

Danach standen die Zeichen auf Entspannung. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) nahm die Suspendierung der Russen wieder zurück, und im Herbst 2018 hob die WADA ihren Ausschluss der RUSADA auf - allerdings unter einer Bedingung: Russland sollte endlich die Originaldaten des Moskauer Labors aushändigen, damit den Berichten über vertuschte positive Proben nachgegangen werden konnte. Die Russen ließen jedoch Ultimaten verstreichen und Kontrolleure nicht ins Labor. Erst nach Monaten lenkten sie Anfang 2019 unter hohem internationalen Druck ein.

Schon damals wurde spekuliert, die Zeit könnte zum Fälschen der Labordaten genutzt worden sein, um Betrüger ein weiteres Mal vor Sperren zu schützen. Diesem Verdacht gingen forensische WADA-Ermittler nach und berichteten später dem Compliance Review Committee (CRC). Dieses wiederum empfahl am Freitag der WADA-Exekutive, die RUSADA wieder auszuschließen, da eine »kritische Bedingung nicht erfüllt« worden sei.

Welche Bedingung genau verfehlt wurde, ist zwar noch geheim, jedoch bestätigte die WADA am Freitag die Empfehlung. Der RUSADA und dem Sportministerium seien mehrere Gelegenheiten gegeben worden, »die Unregelmäßigkeiten« in den Labordaten zu erklären. Sportminister Pawel Kolobkow bestritt zuletzt jegliche Manipulation und sprach von technischen Problemen. Offenbar waren die Erklärungen gegenüber den Ermittlern aber nicht überzeugend.

Es passte nur zu gut ins Bild, dass der Weltleichtathletikverband am Donnerstag fünf Offizielle des russischen Verbands RUSAF und Hochspringer Danil Lysenko sperrte. Der 22-Jährige wurde innerhalb eines Jahres dreimal nicht zum Dopingtest angetroffen. Das zieht automatisch eine Sperre nach sich. Die Verbandsvertreter, darunter Präsident Dimitri Schljachtin sollen versucht haben, Lysenko zu schützen. Offenbar wurden dafür gefälschte medizinische Atteste von erfundenen Ärzten aus einer Scheinklinik vorgelegt.

Da Lysenko einer jener »neutralen Athleten« war, die eigentlich starten dürfen, überlegt der Weltleichtathletikverband nun, auch diese Regelung wieder zu kippen. Für den Schutz eines Betrügers müssten dann 135 bislang als sauber geltende Kollegen büßen. Russlands Sportfunktionäre scheinen tatsächlich unbelehrbar zu sein, denn sie agieren weiterhin nicht im Sinne ihrer sauberen Athleten.

Die WADA-Exekutive wird wohl am 9. Dezember, auf den Tag genau drei Jahre nach der Veröffentlichung von McLarens Abschlussbericht, über das Schicksal der RUSADA entscheiden. »Das Urteil der Prüfkommission und ihre Forderung nach klaren Konsequenzen wiegen schwer«, teilte Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds am Wochenende mit. Beim Urteil müsse »der faire und saubere Sport eindeutig im Vordergrund stehen«. Das kann man zweideutig interpretieren: Entweder gehört Russlands Sport - als unfair und unsauber gebrandmarkt - komplett gesperrt. Oder nur die Funktionäre sollten aus dem Verkehr gezogen werden, fair und sauber agierende Sportler dagegen verschont bleiben.

Die RUSADA selbst trifft vermutlich kaum eine Schuld an der neuen Misere. Sie hatte zumindest keinen Einfluss auf die Übergabe der Labordaten und half nun sogar den Ermittlern des Leichtathletikverbands bei der Klärung des Falls Lysenko. Hier scheint also in der Tat ein Mentalitätswechsel stattgefunden zu haben, ganz anders als beim Leichtathletikverband RUSAF. Dessen Präsident Schljachtin hatte 2016 das Amt übernommen, um die Sperre seines Verbands so schnell wie möglich wieder aufheben zu lassen. Nun war er selbst Grund für die Verlängerung und trat am Sonnabend zurück.

Sollte die RUSADA erneut gesperrt werden, kann dieses Mal auch das komplette russische Olympiateam von den Spielen 2020 ausgeschlossen werden. Darüber entschied bislang das IOC selbst. Neuen Regularien zufolge liegt die Macht über einen Start bei Olympischen und Paralympischen Spielen seit April 2018 aber bei der WADA. »Das IOC respektiert dieses Verfahren uneingeschränkt«, hieß es am Wochenende erneut vom IOC-Sitz aus Lausanne.

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