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Neugier und Nähe

Ein schönes Buch von Grit Lemke über Volker Koepp und seine magischen Dokumentarfilme

  • Günter Agde
  • Lesedauer: 5 Min.

Sein bekanntester Film, der ihm auch große internationale Resonanz einbrachte, stellte zwei altersweise Juden vor, die jeden Abend am Kachelofen sitzen und übers Leben und die Zeiten reden - witzig, nachdenklich, voller Anspielungen, gewürzt auch von ihrem Idiom. Das waren »Herr Zwilling und Frau Zuckermann« (1999) in Czernowitz, der multiethnischen Hauptstadt der Bukowina, in deren wechselvoller Geschichte sich das ganze vorige Jahrhundert spiegelt und die auch bei den beiden Alten durchscheint.

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Grit Lemke: Unter hohen Himmeln. Das Universum Volker Koepp. Bertz+Fischer, 320 S., geb., 25 €.

Volker Koepp zählt - neben Jürgen Böttcher, Winfried und Barbara Junge sowie Gert Kroske - zu den profiliertesten und fleißigsten, auch mit vielen Preisen bedachten Dokumentarfilmern der DEFA. In über 50 Jahren hat er mehr als 60 Filme gedreht. Zu DDR-Zeiten machten ihn vor allem seine Reportagen aus dem Textilkombinat Wittstock bekannt: Dort hatte er temperamentvolle Arbeiterinnen porträtiert. Mit seiner großen Begabung des Fragens und Zuhörens verlockte er seine jungen Protagonistinnen zu sehr freimütigen, munteren, auch schlagfertigen Auskünften über ihre Lebenswelt, die zugleich auch die Lebenswelt vieler Menschen der DDR war. Das waren Filmblicke in die Realität, die es so selten im Dokumentarfilmschaffen der DDR gab. Mit der gleichen offensiven Haltung sprechen die Frauen (und dreht es Koepp) Jahrzehnte später über ihre Erfahrungen mit der Wende und dem - auch bitteren - Zurechtkommenmüssen in der neuen Zeit und in »ihrem« nun sehr anderen Betrieb (»Neues in Wittstock«, 1990-1992; »Wittstock, Wittstock«, 1997).

Die Kunst, zu fragen und den Antworten taktvoll und mit Respekt zuzuhören, hat Koepp eigentlich in allen seinen Filmen praktiziert. Unvergessen sein früher, kurzer Porträtfilm »Gustav J.« (1973) über einen 80-jährigen Schmied aus Litauen, der aus seinem wechselvollen Leben erzählt, über zwei Weltkriege und wechselnde Gesellschaftsordnungen hinweg, und über seinen langen Weg nach Mecklenburg. Im »Hütes-Film« (1977) waren es Bäuerinnen der Rhön, die beim Zubereiten von Klößen, den Köstlichkeiten der regionalen Küche und weltberühmt, über Familie und Herkunft, Landschaft und Heimat auf einfach-unverstellte Weise sprachen und so etwas wie »die Weisheit des Volks« (Brecht) offenbarten.

Mit Geschick und Qualitätsanspruch hat er beinahe problemlos den Wechsel von der Planfilmwirtschaft der DEFA auf den freien Markt der Fernsehanstalten geschafft. Die neue Freiheit bot Koepp eine größtmögliche Ausdehnung nach Osten: in die Bukowina, nach Sarmatien (angeregt von dem Dichter Johannes Bobrowski), an die Ostsee, nach Ostpreußen.

Diese Ausweitung zog offenbar einen Paradigmenwechsel in den Filmen nach sich: So schöne, lebendige Frauenbilder wie in seinen Wittstock-Filmen sind in seinem Spätwerk kaum mehr zu sehen und zu hören. Das sind andere Frauen, die wesentlich kürzer zu Worte kommen und kaum noch in Aktion zu sehen sind, deren Charaktere auf Texte beschränkt bleiben. Gleichwohl sind sie klug ausgewählt und verzieren Koepps Ausflüge in die Ferne. Dafür stehen dann wunderbar fotografierte Landschaften von geradezu märchenhafter Schönheit und mit grandiosen Himmeln. Er meditiert in seinen Filmen nun auch mehr, als er zeigt. Und er forscht nach und geht tiefer in die Geschichte »seiner« Landschaften, mit gleicher Offenheit und Gründlichkeit wie bisher. Koepp hat gern mit stabilen Teams gearbeitet, vor allem mit Fritz Hartthaler, seinem Produktionsleiter, und den Kameraleuten Christian Lehmann und Thomas Plenert.

Die Filmjournalistin Grit Lemke, die das Werk Koepps aus langjähriger Arbeit als Programmleiterin des Leipziger Dok-Film-Festivals bestens kennt, hat (für die DEFA-Stiftung) einen unterhaltsamen Sammelband zu Koepps Leben und Werk organisiert und herausgegeben: Sie sammelt Gespräche zwischen Koepp, seinen Mitarbeitern, Freunden und Wegbegleitern. Da mischen sich viele Stimmen in lockerer, bunter, fast heiterer Weise: Anekdoten von Dreharbeiten, von Motivsuchen, von Begegnungen mit skurrilen und »normalen« Leuten, die zu Protagonisten der Filme wurden, Menschliches-Allzumenschliches. Der gewaltige Kosmos von Koepps Filmen wirbelt, eine Schnurre assoziiert die nächste. Das kann man als angenehm empfinden, weil es unterhaltsam und kurzweilig erscheint und sich gut liest. Man kann es auch als Dilemma und Hürde ansehen, besonders, wenn man mit Interna der Branche wenig vertraut ist.

Einige Leute, die nicht zum inneren Koepp-Zentrum gehören, jedoch mit ihm sympathisieren, fügen den Film-Erinnerungssplittern eine erfrischende Verfremdung hinzu. Darunter der langjährige Leiter des Oberhausener Dok-Film-Festivals Werner Ružička, der einen angenehm nüchternen Blick von außerhalb der DDR einbringt, und das nicht nur auf die Koepp-Filme. Oder der legendäre Fernsehredakteur Werner Dütsch und der Regisseurskollege Bernhard Sallmann.

Der beste Leser wird derjenige sein, der die Filme Koepps gut kennt und diesem erzählerischen Hüpfen von Film zu Film folgen kann. Und der dann auch die zahlreichen Episoden jeweils mit Filmszenen verbindet. Die Annotationen zu Koepp-Filmen, die den Gesprächen vorangestellt sind, können den lebendigen Film nicht ersetzen. (Gottlob stehen Koepps Filme in ausgezeichneter digitalisierter Form bereit, sodass man im Kino Versäumtes nachholen kann. (»Absolut Medien« bietet als Sonderausgabe den Wittstock-Zyklus, die »Edition Salzgeber« die späten Filme an.)

Die Filmjournalistin Anke Westphal leitet kenntnisreich und voller Sympathie für den Mann und seine Filme den Band ein. Eine eindrucksvoll komplette Filmografie fehlt nicht. Man hätte sich freilich noch mehr Fotos gewünscht.

Auf die mehrfach gestellte Frage, wie er seine Themen, Leute, Landschaften findet, spart Koepp eine einfache, echte Antwort aus. Der Kern seiner Arbeit bleibt sein Geheimnis, es gehört wohl auch zur Magie seiner Kunst. Einen Wünschelrutengänger nennt ihn einmal seine Dramaturgin Anne Richter. Das trifft’s.

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