Tories holen absolute Mehrheit

Konservative mit absoluter Mehrheit / Labour mit klaren Verlusten / Corbyn kündigt Rücktritt an / SPD enttäuscht von Labour

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London. Die Konservative Partei von Premierminister Boris Johnson hat die Parlamentswahl in Großbritannien gewonnen. Am Freitagmorgen wurde gemeldet, dass die Tories laut den bislang vorliegenden Ergebnissen aus den Wahlkreisen die absolute Mehrheit errangen. Bereits Nachwahlbefragungen vom Vorabend hatten auf eine absolute Mehrheit für die Konservativen hingedeutet.

Johnsons Tories kommen nach den Berechnungen der BBC auf insgesamt 362 der insgesamt 650 Mandate. Labour bekommt demnach 199 Mandate - das wäre ein historisch schlechtes Ergebnis. Oppositionsführer Jeremy Corbyn erkannte die Niederlage von Labour an und kündigte seinen Rückzug von der Partei nach einer Übergangsphase an.

Die Wahl sei stark vom Brexit beeinflusst worden. Die Labour-Partei sei nicht ausreichend mit ihrem Anliegen durchgedrungen, Themen wie etwa die Gesundheitspolitik im Wahlkampf zu setzen. »Die Menschen wollten offenbar den Brexit erledigt bekommen«, sagte Labour-Finanzexperte John McDonnell. Dies sei aber längst nicht gewährleistet.

In Schottland räumte die Schottische Nationalpartei ab, was Spekulationen über ein möglicherweise bevorstehendes neues Unabhängigkeitsreferendum befeuerte. SNP-Chefin Nicola Sturgeon kündigte an, für ein zweites Unabhängigkeits-Referendum kämpfen zu wollen. »Boris Johnson hat erstens kein Recht, Schottland aus der EU zu nehmen und zweitens kein Recht zu verhindern, dass das schottische Volk über seine eigene Zukunft bestimmt«, sagte die schottische Regierungschefin am frühen Freitagmorgen in der BBC.

Noch wenige Stunden vor Schließung der Wahllokale hatten die Parteien in Emails und mit Nachrichten in sozialen Medien um jede einzelne Stimme gekämpft. Vor allem in Mittel- und Nordengland versuchten die Konservativen und die Labour-Partei, sich gegenseitig Wähler abzujagen. Brexit-Gegner hatten hier zum taktischen Wählen gegen konservative Kandidaten aufgerufen.

SPD-Politiker haben sich enttäuscht über den Wahlausgang in Großbritannien geäußert. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Niels Annen, sprach am Freitag im Internetdienst Twitter von »einem traurigen, katastrophalen Ergebnis für Labour«. Die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley bedauerte im Bayerischen Rundfunk, dass sich »differenzierende Töne« nicht hätten durchsetzen können.

Annen führte das schlechte Abschneiden der britischen Labour-Partei auf deren unklare Haltung zum Brexit zurück. »Wenn Linke keine klare Haltung zu Europa und ein radikales, unfinanzierbares Programm vorlegen, geht der Kontakt zur Mehrheit der Gesellschaft verloren«, schrieb er auf Twitter.

Kommt nun der Brexit?

Regierungschef Johnson, der seit Anfang September keine Mehrheit mehr im Unterhaus hatte, hat nun freie Bahn für seinen Brexit-Deal und könnte Großbritannien wie geplant zum 31. Januar 2020 aus der Europäischen Union führen. Die Opposition um Labour-Parteichef Corbyn hatte hingegen eine erneute Verschiebung des EU-Austritts versprochen: Demnach sollte zunächst eine neue Vereinbarung mit Brüssel verhandelt werden. Zudem versprach Corbyn ein zweites Referendum, in dem die Bevölkerung zwischen dem neuen Abkommen und einem Verbleib in der EU entscheiden solle.

Dem Austrittsabkommen zufolge soll das Land bis Ende 2020 in einer Übergangsphase bleiben. Bis dahin will Johnson einen Vertrag über die künftigen Beziehungen mit der Staatengemeinschaft aushandeln. Die Zeit dafür gilt jedoch als denkbar knapp. Eine Verlängerungsoption um bis zu zwei Jahre, die noch bis Juli 2020 möglich ist, hat der Premier ausgeschlossen. Sollte kein Anschlussabkommen zustande kommen, droht Ende kommenden Jahres wieder ein No-Deal-Szenario.

Die nebensächliche Wahl
In Nordirland bereiten sich die Menschen auf den Brexit vor. Vom neuen britischen Parlament erwarten sie wenig

Die Briten hatten 2016 in einem Referendum mit knapper Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt. Nach zähen Verhandlungen konnte Johnsons Vorgängerin Theresa May im November 2018 ein Austrittsabkommen vorlegen. Doch die anschließende Ratifizierung im britischen Parlament scheiterte. Nicht zuletzt, weil ihre Regierung seit der vergangenen Wahl 2017 keine eigene Mehrheit mehr hatte. Der Brexit wurde mehrmals verschoben, May musste schließlich zurücktreten.

Johnson handelte nach seinem Amtsantritt im Sommer 2019 Änderungen am Austrittsabkommen aus. Der umstrittenste Teil, die sogenannte Backstop-Regelung für eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland, wurde durch eine alternative Regelung ersetzt. Nordirland soll sich demnach künftig weiterhin an EU-Regeln zu Zöllen und Produktstandards halten.

Das stieß jedoch auf Widerstand in der nordirisch-protestantischen DUP, von deren Stimmen die konservative Minderheitsregierung abhängig war. Nach einem erfolglosen Versuch, sein Abkommen mit Stimmen aus der Opposition durch das Parlament zu bringen, drang Johnson schließlich auf eine Neuwahl.

Großbritannien hat ein relatives Mehrheitswahlrecht. Ins Parlament zieht nur der Kandidat mit den meisten Stimmen in seinem Wahlkreis ein. Alle Stimmen für unterlegene Kandidaten verfallen. Das führt dazu, dass die beiden großen Parteien - Konservative und Labour - bevorzugt werden und bringt in der Regel klare Mehrheitsverhältnisse. Agenturen/nd

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