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  • Liebknecht-Luxemburg-Demonstration

Karl, Rosa, John und Genossen

Zehntausende beim Gedenken an Liebknecht und Luxemburg in Berlin-Friedrichsfelde

»Ich mache mal mit links«, sagt Stefanie Fuchs am Sonntagmorgen vor der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde und reicht zur Begrüßung ihre linke Hand. Fuchs lacht dazu. Links passt zu ihr. Schließlich sitzt sie für die LINKE im Berliner Abgeordnetenhaus. Die rechte Hand hat sie nicht frei. In der hält sie rote Nelken. Sie wird die Blumen gleich an den Grabplatten der 1919 von rechten Freikorps ermordeten Politiker Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg niederlegen. Zu diesem Anlass kommen immer am zweiten Sonntag im Januar Zehntausende Menschen her. Der erste war diesmal bereits gegen 8 Uhr dort. Da waren die großen Flügeltore noch gar nicht geöffnet. Er schritt durch einen kleinen Eingang an der Seite.

Um 8.58 Uhr setzt sich eine Delegation der Linkspartei aus Berlin-Lichtenberg in Bewegung. Zu diesem Bezirk gehört Friedrichsfelde. Bezirksbürgermeister Michael Grunst (LINKE) hatte dazu aufgerufen, sich anzuschließen. Landesschatzmeisterin Sylvia Müller interpretierte das so, als gebe sich der Bezirksverband als Organisator des Gedenkens aus und frotzelte, wenn es so sei, dann solle Lichtenberg aber 2021 dem Landesverband die Organisation abnehmen und auch die Kosten tragen.

Bürgermeister Grunst hat sechs Nelken dabei. Eine könnte er noch abgeben, die anderen benötigt er für Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und dessen Vater Wilhelm sowie für John Schehr. Für den 1934 von den Nazis ermordeten Kommunisten hat er immer eine Nelke, weil er sich aus seinem Deutschunterricht in der DDR noch gut an Erich Weinerts Gedicht »John Schehr und Genossen« erinnert. Es beschreibt den Meuchelmord durch die Geheime Staatspolizei. Seine fünfte Nelke legt Grunst an dem Gedenkstein nieder, der den Opfern des Stalinismus gewidmet ist, weil das zur Geschichte des Sozialismus leider dazugehört, wie er sagt. Dieser Stein ist umstritten, obwohl niemand bezweifelt, dass der sowjetische Parteichef Josef Stalin einst auch unzählige Kommunisten in Lager sperren oder sogar töten ließ.

Doch vor Ort wird der Gedenkstein von vielen als Provokation empfunden, zumal ein Kranz der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur daneben liegt. In Auge fällt das Luis Köhn, Heye Hamadmad und Jaro Vredenburg. Sie sind 17 und 18 Jahre alt und stammen aus Bremen. Luis macht gerade sein Freiwilliges Soziales Jahr in Berlin und ist Sprecher der hiesigen Linksjugend geworden. Die Freunde aus Bremen besuchten ihn und blieben extra länger, um einmal zum Gedenken an Liebknecht und Luxemburg zu gehen. Heye und Jaro haben ihre Rücksäcke dabei, weil sie anschließend heimfahren. Sie sind gerade noch lange genug da, um zu erleben, wie um 9.33 Uhr die Bundesvorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping, die Fraktionschef Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali, Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und anderes Spitzenpersonal der Linkspartei ankommen und am Obelisk mit der Aufschrift »Die Toten mahnen uns« Kränze und Blumen ablegen. Auch Dagmar Enkelmann, die Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, ist dabei.

Ganz am Ende dieser großen Gruppe hat sich Egon Krenz eingereiht. Er war 1989 kurz SED-Generalsekretär und wurde 1990 aus der Partei ausgeschlossen. An seiner Grundüberzeugung hält er fest. Seit 1961 sei er beim Gedenken an Karl und Rosa in Friedrichfelde, erzählt er, nur in den Jahren nicht, in denen er an der Parteihochschule in Moskau studierte und in denen er in der BRD als politischer Häftling im Gefängnis saß.

Kurz nach 11 Uhr trifft der lange Zug der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration ein. Die Reihen grob durchgezählt, sind rund 5000 Teilnehmer mitgelaufen, vielleicht auch mehr. Nahe des Friedhofs stockt der Marsch immer wieder, weil nicht alle auf einmal hineinkönnen.

Es sieht so aus, als seien diesmal weniger Menschen gekommen als im vergangenen Jahr zum 100. Jahrestag der Beisetzung von Karl und Rosa. Diesen Eindruck bestätigt der vietnamesische Blumenhändler vorn am Bahnhof Lichtenberg. Er hat sich mit seinen Angestellten und lauter roten Nelken am Straßenrand vor seinem Laden postiert. Etwa 1000 Nelken hat er bis 11.30 Uhr für einen Euro das Stück verkauft. Das sind nicht so viele wie zum 100. Jahrestag, sagt der Chef. Aber: »Wir sind zufrieden.«

2019 wurde von Juni bis November am historischen Standort mit einer Folie das Revolutionsdenkmal des Architekten Mies van der Rohe nachgestellt. Das Original befand sich vom Eingang aus gesehen am anderen Ende des Friedhofs und wurde von den Faschisten abgeräumt. Jetzt gibt es Wünsche und Überlegungen, es wieder aufzubauen, berichtet Bezirksbürgermeister Grunst. Doch Jürgen Hofmann vom Förderkreis Erinnerungsstätte der deutschen Arbeiterbewegung Berlin-Friedrichsfelde warnt. Man wisse gar nicht, wie die Rückseite der markanten Mauer ausgesehen habe, weil davon keine Fotos überliefert sind. »Genial« und eine »Ikone der Moderne« nennt Hofmann das Revolutionsdenkmal schwärmerisch. Doch er weiß: In der Denkmalpflege gilt die Kopie eines verlorenen Denkmals nicht automatisch wieder als Denkmal. An der Stelle steht heute ein Quader mit einer Tafel. In dieser Form stehe die Anlage unter Schutz. Darauf lässt sich unter missgünstigen politischen Verhältnissen pochen. Beim originalgetreu wiederaufgebauten Denkmal wäre das anders.

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