Ein Kessel Grauen

Velten Schäfer bilanziert den Auschwitz-Jahrestag

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Andenken von Auschwitz gehört gewiss nicht zu den Themen, über die man Witzchen machen kann. Doch gerade in diesem Sinn ist geboten, Kenntnis davon zu nehmen, wie heuer dieses Andenken zwischen deplatzierter Inanspruchnahme und Vorwürfen der Instrumentalisierung zu einer einzigen bitteren Pointe geriet.

Dabei mag man den Kommentar jenes »Haaretz«-Kolumnisten dahingestellt lassen, dem zufolge Israels Premier »den Holocaust-Tag zu einem Iran-Tag« gemacht habe, an dem »Hitler nur noch den Vorläufer von Khamanei« gebe und er selbst »Anne Franks zeitgenössische Verkörperung«. Weit oben auf dem Kessel Grauen schwamm hingegen jene hiesige C-Politprominenz, die Auschwitz zum Anlass nahm, vor Muslimen in Deutschland zu warnen. Dicht gefolgt wurde diese von jenem Hamburger Linksjugendspund, der pünktlich zum Jahrestag der Befreiung vom »Klima-Holocaust« zu berichten wusste und die C02-Bilanz von Hitlers Wehrmacht kritisierte. Unvergesslich jener ARD-Kommentar, der sich über die - fachfremde! - Einweihung eines Leningraddenkmals im Rahmen des Jerusalemer Gedenkens mokierte. Gut dabei waren jene Boykottansagen osteuropäischer Staatsspitzen, die es vor dem Jerusalemer Termin unzumutbar nannten, ihr russisches Pendant zu Auschwitz sprechen zu hören, ohne sogleich Kontra geben zu können.

Es ist eine Binsenweisheit, dass Erinnerung immer auch Erzählung von sich selbst ist. In diesen Jubiläumstagen aber zeigte sich, wie schnell dieses Selbst sich dabei in den Vordergrund schieben kann: Gerade wollte man aufatmen, weil weder Warschau noch Kiew den Unsinn von 2015 wiederholten, dass »ukrainische« Truppen das Grauen von Auschwitz beendet hätten. Da twitterte die US-Botschaft in Kopenhagen, »amerikanische Soldaten« hätten das Lager befreit. Und während man sich fragte, warum die Diplomaten für die Korrektur anderthalb Tage brauchten und sinnierte, ob sie das nun vom »Spiegel« hatten oder eher umgekehrt, war zu registrieren, dass nicht mal Bernie Sanders half: Der dankte »alliierten Kräften« - nicht falsch, aber seltsam vage und nicht hilfreich gegen jene Haltung, die sich zumal im Netz zu verselbstständigen droht: Die gefühlten Guten von heute müssten auch die Guten von gestern gewesen sein.

Ein Fehler ist eine Dummheit, drei Fehler sind ein Trend: Schon 2008 hatte Barack Obama im Wahlkampf behauptet, sein Onkel habe Auschwitz befreit. Immer öfter ist das »Narrativ« allein zu Hause, nicht nur an der Hamburger Henrikusspitze. Und plötzlich klingt zumindest jener Teil der jüngeren polnischen Geschichtsgesetzgebung gar nicht mehr so absurd, der präventiv die Behauptung unter Strafe stellt, Polen hätte Auschwitz betrieben.

Wer einen Strich unter diese Jahrestagsbilanz ziehen möchte, muss unter diesem eines notieren: Der Bundespräsident hatte nicht nur recht, als er in Yad Vashem sinngemäß sagte, man habe nicht genug aus Auschwitz gelernt. Es scheint sogar wieder an der Zeit zu sein, zunächst etwas über Auschwitz zu lernen. Das ist wirklich bitter.

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