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The Day after

Während der Niederschrift dieser Zeilen läuft noch der Countdown. Kann in letzter Sekunde etwas dazwischenkommen? Wirft sich vor der endgültigen Trennung noch jemand ins Geschehen und spricht, statt für immer zu schweigen? Oder kann es wie in der »Reifeprüfung« eine glückliche Zukunft des Paars Großbritannien-EU geben, obwohl eigentlich schon alles zu spät ist?

Offiziell war für den historischen Moment des Brexit nichts geplant, was eventmäßig mit einem herkömmlichen Jahreswechsel mithalten könnte: eine Lightshow, Fahnen und eine Ansprache von Premierminister Boris Johnson. Die Queen wollte ihren Landsitz Sandringham nicht verlassen. Allein die Brexit-Befürworter um Nigel Farage versprachen eine Party mit »Spaß, Liedern und vielen Überraschungen«. Bis Freitag passierte so wenig, dass nicht einmal Live-Ticker eingerichtet wurden. Hier eine Äußerung des Bedauerns, dort eine Meldung über die Einbürgerungen eines Briten in Rheinland-Pfalz. Ansonsten die immer gleichen Sätze: Geklärt ist noch nichts. Die Unsicherheit bleibt. Sicher ist nur, dass sich bis Ende 2020 nichts ändert. Aber dann? Britische Fußballklubs befürchten Einschränkungen bei der Verpflichtung von Spielern aus der EU, deutsche Süßwarenhersteller Einbußen beim Export von Schokolade, um mal die wichtigen Dinge zu nennen. Mit Blick auf das Fischereiwesen ist schon von einem drohenden »Kabeljaukrieg« die Rede - offenbar deswegen, weil beide Seiten die neue Lage zu ihrem Vorteil nutzen wollen.

Mit Ablauf des 31. Januar haben die britischen EU-Parlamentarier ihre Arbeitsplätze verloren, manche von ihnen wollten am Freitag mit einer »Brexodus«-Parade aus dem Parlament in Brüssel zur Bahn nach London ziehen. Auch der Auftrag der Beschäftigten des britischen Brexit-Ministeriums gilt als erfüllt. Und der Schotte Iain Macnab darf nach zwölf Jahren nicht weiter Bürgermeister der 160-Seelen-Gemeinde Brunsmark in Schleswig-Holstein sein, weil er ausschließlich die britische Staatsangehörigkeit besitzt. Zu neuer Berühmtheit wird es dafür ein Stück Acker im unterfränkischen Gadheim bringen: Dort wurde der neue Mittelpunkt der Europäischen Union ausgemacht, und man bereitet sich auf die Touristen vor.

Nach jüngsten Umfragen ist die Mehrheit der Briten gegen den Brexit. Und das Land ist so gespalten, dass der Erzbischof von Canterbury Brexit-Befürworter und -Gegner zum Versöhnungsgebet aufgerufen hat wie die Kontrahenten in einem bewaffneten Konflikt. Mögen sie sich ein Beispiel nehmen an der Gelassenheit von Iain Macnab, der, nach den Plänen für seinen letzten Arbeitstag gefragt, sagte: »Ich werde die Schlüssel für die Amtsverwaltung und das Dorfgemeinschaftshaus abgeben und dann einen schönen schottischen Whisky trinken.« Cheers! Regina Stötzel

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