Modell Österreich

Wie sich der Rechtsradikalismus im Alpenland normalisierte.

  • Johannes Greß
  • Lesedauer: 4 Min.

Vom »Thüringer Tabubruch«, schrieb am Donnerstag die Wiener »Presse«. Der sei »ein Symptom der Krise der Mitte«. Doch was sagt das über die »Mitte« in Österreich? Immerhin regiert hier die FPÖ, Schwesterpartei der AfD, seit Jahren fleißig mit. Sie stellt Bezirksräte, sitzt in den Landtagen. Sie fungierte nicht nur auf Landesebene bereits als Regierungspartei, sondern auch im Bund - und zwar bereits fünf Mal. Obwohl sie das Muster eines Kampfs gegen die »Altparteien« mitunter noch bedient, gehört sie längst zu den »Etablierten«.

Dass von jenem »Damm«, der nun in Thüringen gebrochen ist, in Österreich eigentlich seit Jahrzehnten nicht mehr die Rede sein kann, liegt erstens an der Stellung der FPÖ im Parteiensystem. Sie war nie jene fünfte Kraft, die in Deutschland die junge AfD darstellt, sondern über lange Zeit - analog zur deutschen FDP - jene dritte, kleine Partei, in der die beiden großen Vorteile sahen. Möglich war der Aufstieg der 1955 gegründeten Partei, weil sie bei den »Sozialdemokraten entscheidende Geburtshelfer fand und in ÖVP-Vertretern ebenfalls große Förderer hatte«, schreibt der Journalist und Autor Johannes Huber. Die Roten wie Schwarzen erhofften sich durch eine dritte Partei im politischen System Vorteile für sich selbst - sie könne die jeweils andere Großpartei schwächen. Auch versprach sie mehr Unabhängigkeit vom jeweiligen Kontrahenten.

Zweitens unterlag die FPÖ durchaus politischen Wandlungen. Anders als das deutsche Namenspendant, das auch liberale Vorläufer hatte, entstand die FPÖ aus der Erbmasse des »Verbands der Unabhängigen« (VdU) zwar als fast lupenreines Auffangbecken für Ex-Nazis. Doch später gab es auch eine mehr oder minder sozialliberale Epoche in der Geschichte der »Freiheitlichen«, etwas nach dem entsprechenden Intermezzo bei der FDP. So ging von ihrem Namen allein nie eine so starke Tabuwirkung aus wie derzeit - oder bisher? - vom Kürzel »AfD«.

Allerdings fiel die erste, vom selbst jüdischen und einst von den Nazis verfolgten SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky eingegangene Zusammenarbeit mit der FPÖ noch vor diese zwischenzeitliche Wende. 1970, als Kreisky die FPÖ zu einer wohlwollenden Duldung einer Minderheitsregierung bewegte, wurde die Partei von Friedrich Peter geführt, einem früheren SS-Obersturmführer, dessen Einheit ab 1941 hinter der Front viele zahllose Juden erschossen hatte. Im Sinne seiner Machtoption verteidigte Kreisky nicht nur Peter persönlich, - etwa gegen Simon Wiesenthal -, sondern ließ sich auf eine Wahlrechtsreform ein, die sich zugunsten der kleinen Partei auswirkte: eine im Nachhinein folgenschwere Fehlkalkulation.

Die zweite, diesmal vollgültige Koalition mit der FPÖ, die die SPÖ-Kanzler Fred Sinowatz und Franz Vranitzky von 1983 bis 1987 eingingen, kann dagegen als »sozialliberal« gelten: Obwohl der stramm rechte Flügel in der FPÖ immer stark war, hatten sich in den 1980ern unter Norbert Steger die »Liberalen« durchgesetzt. Obwohl das nicht lange währte - die Koalition platzte, nachdem Jörg Haider 1986 Steger als Parteichef weggeboxt hatte - trug auch diese Koalition zur Normalisierung des Bildes von FPÖ-Leuten in Ministersesseln bei.

Dennoch kam nach der Nationalratswahl von 1999 in Österreich ein Gefühl von »Dammbruch« auf. Die FPÖ, von Haider mit ständigen Tabubrüchen wieder weit nach rechts geführt, wurde von der eigentlich schwächeren ÖVP als Juniorpartner in die erste schwarz-blaue Regierung geholt. Am Tag der Angelobung demonstrierten in Wien 250 000 Menschen. Österreich geriet seitens der EU - die Kontakte zur schwarzblauen Regierung wurden auf ein Mindestmaß reduziert - unter zumindest symbolischen Druck. Geholfen hat das wenig. Aus den vorgezogenen Neuwahlen im Jahr 2002 ging die ÖVP als klarer Sieger hervor und setzte die Zusammenarbeit mit der FPÖ fort.

Die nun zerfallene Koalition von 2017 war für sich schon nichts allzu Besonderes mehr. Ihre Nachwirkung besteht eher darin, dass die von Sebastian Kurz zu einer Kanzlerpartei umgebaute ÖVP teile der rechten Agenda inkorporiert - während die FPÖ zumindest derzeit in zahlreiche Skandale zwischen »Ibiza« und möglichem Mandatsverkauf Federn lässt.

Doch die Hoffähigkeit der FPÖ hat Folgen: Sie hat auf allen Verwaltungsebenen eine ausgeprägte Infrastruktur und dementsprechende Personaldichte sowie starke Vorfeldorganisationen wie Burschenschaften und neuerdings die »Identitären«. Aus diesen Wurzeln wird sie sich wohl mittelfristig wieder aufbauen können. Denn »unverzeihlich« ist die Zusammenarbeit mit ihnen schon lange nicht mehr.

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