Unglückliche Vergleiche

Unangemessene Parallelen haben im Aufmerksamkeitswettbewerb in den Sozialen Netzwerken Konjunktur

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Der »Klimaholocaust«: Diese Formulierung sorgte zu Recht für Empörung in den Netzwerken. Ein junger Mann, der auf der Liste der Hamburger Linken stand, hat ihn begrifflich ins Spiel gebracht. Keine Frage, diese Ausdrucksweise ist ziemlich geschichtsvergessen. Aber ich will an dieser Stelle gar nicht in die Empörung einstimmen. Das haben andere schon lange bestellt. Und Tom Radtke, so heißt der Jugendliche, hat ja nun auch viel Kritik einstecken müssen. Irgendwann muss es auch gut sein. Für ihn spricht außerdem seine Jugend – da darf man schon mal Fehler machen.

Zumal der 18-Jährige ja in einer Gesellschaft sozialisiert wurde, in der es sozusagen zum ganz normalen Alltag gehört, auf sich aufmerksam zu machen. Wenn notwendig mit fast allen Mitteln. Übertreibungen und unangemessene Vergleiche gehören zum Repertoire dieser effektheischenden Haltung. Wie will man denn sonst bei Facebook oder Instagram bestehen? Man muss auffallen, will man von Aufmerksamkeitsvolumen etwas abbekommen. Mit so einem griffigen Wortkonstrukt wie jenem vom Radtke klappt das allemal.

Ganz alleine ist er mit so einem üblen Gleichnis freilich nicht. Es herrscht eine rege Vergleichsmentalität im Internet; immer wieder bringt man sprachlich den Nationalsozialismus ins Spiel, offenbar in der Absicht, diverse Missstände so besonders bildlich skizzieren zu können. Regelmäßig trifft man auf Kritiker des Hartz-IV-Komplexes, die dieses Sozialhilfesystem mit einer Art Konzentrationslager vergleichen und Ein-Euro-Jobs mit dem Reichsarbeitsdienst.

Die AfD wird in diesem Modus nicht selten zur NSDAP. Neulich beanstandete jemand aus meiner Filterblase, dass die CDU und die FDP die Konzentrationslager in Libyen guthießen. Gemeint waren wahrscheinlich Auffanglager für Flüchtlinge. Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten müssen, werden in dieser kruden Superlativkultur ohnehin sehr oft nur noch als Sklaven besprochen. Hitlervergleiche gehen ohnehin immer – der Journalist Daniel Erk, der jahrelang für die taz den Hitlerblog betrieben hatte, behauptete schon 2012 in seinem gleichnamigen Buch: »So viel Hitler war selten«.

Man verstehe mich jetzt nicht absichtlich falsch, ich will weder Hartz IV noch den Klimawandel, weder Auffanglager noch unterbezahlte Knochenarbeit verteidigen oder schönreden. Aber mit dieser Unangemessenheit habe ich ein Problem. Dabei will ich gar nicht mit der Moral ansetzen. Sondern mit dem Umstand, dass fehlende Nüchternheit bei der Bewertung nicht etwa für Missstände sensibilisiert, sondern wegschauen lässt.

Schließlich will man jemanden erreichen, wenn man Missstände auf den Punkt bringen will – damit sie noch mehr Menschen erkennen und als überarbeitungswürdig erachten. Wenn man sich allerdings in Übertreibungen versteigt, neigen viele Menschen dazu, zunächst die Kritik zu hinterfragen. Sie gucken dann auf Hartz IV, vergleichen es mit dem KZ und ziehen ihre Schlüsse, indem sie denken: Nee, so schlimm ist Hartz IV nun dann doch nicht.

Neben der fatalsten Katastrophe sehen bürokratische Katastrophen von heute nun mal wie Kavaliersdelikte aus. Unangemessene Vergleiche sind nicht etwa besonders punktgenau oder plastisch, sondern sprachliche Rohrkrepierer und Verständnistöter. Sie erweisen einer ganz klar wichtigen Sache einen Bärendienst. Daher sind gerade diese unseligen NS-Vergleiche nicht nur moralisch zweifelhaft, sondern auch strategischer Unfug.

Der französische Philosoph Albert Camus sagte mal: »Wer die Dinge beim falschen Namen nennt, trägt zum Unglück der Welt bei.« Dieses Zitat liest man hin und wieder, wenn Kritiker die euphemistische Sprache der Mächtigen anprangern und mit einem guten Zitat flankieren wollen. Wenn sie also zum Beispiel von Kollateralschäden sprechen und damit verschleiern, dass es um tote Eltern, Kinder oder Großeltern in Kriegs- und Krisengebieten geht.

Aber ganz egal wer nun sprachlich falsch, unangemessen und übertrieben erfasst, ob Mächtiger oder nicht, dahinter steckt mehr als eine unglückliche Formulierung – man macht auch unglücklich. Denn wer die Dinge beim falschen Namen nennt - oder zumindest die Dinge mit den falschen Namen vergleicht, der wird selbst zum Teil des Problems. Laut zu sagen was ist: Für Lasalle war das einst die revolutionärste Tat. Laut befremdliche Vergleiche anzustellen hat er damit allerdings ganz sicher nicht gemeint.

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