Sei kein Frosch

Die stadtpolitische Bewegung in Hamburg staunt über die Erfolge in der Hauptstadt.

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 6 Min.

Lange Zeit blickten Aktivist*innen in Berlin neidisch auf die stadtpolitische Bewegung in Hamburg. Gelang doch dort, was in der Hauptstadt unmöglich schien: Autonome vernetzten sich mit Künstler*innen und Anwohner*innen und schafften es, eine »Recht auf Stadt«-Bewegung aufzubauen, deren Erfolge bis weit über die Grenzen der Hansestadt hinaus Strahlkraft hatten: Die Besetzung des Gängeviertels vor zehn Jahren, die in einem Rückkauf der Gebäude durch die Stadt und einem 75 Jahre gültigen Erbpachtvertrag mit den Besetzer*innen mündete; die einmalige Beteiligung des Kiezes am Bebauungsplan für das Gelände der ehemaligen »Esso Häuser« in St. Pauli, wo nun ein Quartier mit 60 Prozent Sozialwohnungen entstehen soll; die Gründung des »Dachverbands der autonomen Wohnprojekte«, der sich einer Privatisierung seit Jahren erfolgreich widersetzt - um nur einige zu nennen.

Inzwischen hat sich der Wind gedreht. »Die stadtpolitische Bewegung war in Hamburg lange viel stärker als in Berlin«, sagt Rouzbeh Taheri von der Berliner Initiative »Deutsche Wohnen und Co enteignen«. »Mittlerweile hat Berlin Hamburg überholt, sowohl was die Vernetzung der Mieterinitiativen als auch was den Druck auf die Regierung angeht«, meint der Aktivist, der sich mit einem Volksbegehren für die Vergesellschaftung von großen Wohnungsunternehmen einsetzt. »Hamburg war eine Ermunterung für uns, ein Zeichen, was alles möglich ist. Mittlerweile ist es unsere Rolle, eine Ermunterung für andere zu sein«, sagt Taheri.

In der Tat schauen Hamburgs Stadtaktivist*innen anerkennend auf das, was da gerade in der Hauptstadt passiert: »Während in Hamburg die Mieten weiter steigen, greift Berlin durch«, meint das Netzwerk »Recht auf Stadt« mit Blick auf den Berliner Mietendeckel, der an diesem Sonntag in Kraft tritt. »Es ist schon bemerkenswert, was gerade in Berlin passiert, was da möglich ist«, meint Steffen Jörg vom Sprecher*innenrat des Netzwerks. Eine derartig »mutige und fortschrittliche« Politik erwartet er vom Hamburger Senat, der an diesem Sonntag gewählt wird und aller Wahrscheinlichkeit nach aus einer rot-grünen Koalition bestehen wird, allerdings nicht. »Wir haben in Hamburg eine Beton-SPD und Grüne, die voll auf Linie der Immobilienwirtschaft sind und total gegen den Mietendeckel schießen.«

In der Tat ist in Hamburg einiges anders als in Berlin - im Guten wie im schlechten. Während es in der Hauptstadt mit Rot-Rot-Grün eine »mutige Parteienlandschaft gibt, die sich auch traut, sich mit der Immobilienwirtschaft anzulegen«, wie Jörg meint, sind die linken Flügel von SPD und Grünen in Hamburg nicht besonders einflussreich. Den Sozialdemokraten gelang es zudem, sich im Wahlkampf mit dem Mantra »Bauen, bauen, bauen« als Problemlöser darzustellen. »Sie schaffen es, den Eindruck zu erwecken: ›Wir sind da dran, wir machen das.‹ Das stimmt aber nicht«, ärgert sich der »Recht auf Stadt«-Aktivist.

Die großen Mobilisierungserfolge des Berliner »Mietenwahnsinn«-Bündnisses, ohne die der Mietendeckel wohl kaum zustande gekommen wäre, haben jedoch noch einen anderen Grund: »In Berlin haben sich die Verhältnisse innerhalb kürzester Zeit verschärft. Hamburg hat das Problem schon seit Längerem«, sagt Jörg und bemüht das Bild vom Frosch, der sofort aus dem Topf springt, wenn man ihn in kochendes Wasser wirft, aber bis zu seinem Tod dort ausharrt, wenn man das Wasser nur langsam erhitzt.

Einen Mietendeckel wollen die Aktivist*innen des »Recht auf Stadt«-Netzwerks ebenfalls einführen, eine Kampagne dafür gibt es bereits. Seit diesem Monat werden in Hamburg zudem fleißig Unterschriften für die beiden Volksbegehren »Keine Profite mit Boden und Miete« gesammelt. »Wir fordern, dass Hamburg keine Grundstücke mehr verkauft, sondern nur noch in Erbpacht vergibt«, so Mit-Initiator Bernd Vetter. Bei Neubau auf städtischen Grundstücken soll zudem maximal 6,70 Euro Miete verlangt werden können. »In Hamburg wird zwar viel gebaut, die Wohnungen, die gebaut werden sind aber alle teuer«, sagt der Rechtsanwalt. 10 000 Unterschriften müssen sie dafür in den nächsten sechs Monaten sammeln. »Das dürfte kein Problem sein«, glaubt Bernd Vetter.

Ein Volksbegehren zur Enteignung großer Wohnungskonzerne wie in Berlin ist in Hamburg bislang nicht geplant. »Die Rolle der Immobilienunternehmen ist in Hamburg eine andere«, sagt Rouzbeh Taheri von der Berliner Enteignungskampagne. »In Hamburg gab es im Gegensatz zu Berlin keine flächendeckenden Privatisierungen.« Die Diskussion darüber gebe es in Hamburg dennoch: »Wir stehen in Kontakt und da ist durchaus was in Bewegung«, so Taheri. Das bestätigt auch Steffen Jörg von »Recht auf Stadt«: »Die Diskussion über Enteignung wird in Hamburg schon auch geführt. Wir haben allerdings keine so großen Player wie in Berlin.« Der größte sei Vonovia mit fast 19 000 Wohnungen, gefolgt von Akelius mit rund 4000 Wohnungen. »Akelius & Co enteignen« steht dann auch auf den Bierdeckeln, mit denen das Netzwerk für den Hamburger Mietendeckel wirbt. Für den spricht sich bislang allerdings allein die Linke aus.

Und sollte es in Hamburg überraschend doch zu einem Bündnis mit der Linkspartei kommen? Dann heißt es erst recht Druck machen, empfiehlt die neu gegründete Berliner Initiative »Kein Haus Weniger«, die gegen die Verdrängung alternativer Projekte in der Hauptstadt kämpft. »Auch wenn in der Regierung Kräfte sind, die für die eigenen Forderungen offen sind, darf man die Zügel nicht locker lassen, im Gegenteil«, so Sprecherin Maxi. Zwar sei mit Rot-Rot-Grün das Potenzial höher, seine Forderungen auch durchzusetzen, »den Druck von der Straße braucht es aber so oder so«. In Berlin habe man in den letzten zehn Jahren viel von Hamburg gelernt - der Schulterschluss der »Kein Haus Weniger«-Initiative mit Künstler*innen und Stadtteilinitiativen steht dem des Gängeviertels entsprechend auch in nichts nach.

Vernetzung ist alles, weiß auch Steffen Jörg. Nur so könne man das Thema auch in den öffentlichen Diskurs bringen. Das sei »Recht auf Stadt« in den letzten zehn Jahren zwar gut gelungen, darauf ausruhen kann sich das Netzwerk allerdings nicht. »Wir haben das Thema besetzt, die SPD hat sich dessen angenommen und gesagt, wir kümmern uns.« Von den falschen Versprechungen der Sozialdemokraten von Neubau als Lösung für den Mietenwahnsinn dürfe man sich jedoch nicht blenden lassen. »Wir müssen die Stimme sein, die das widerlegt, die den Finger in die Wunde legt und zeigt: Das stimmt nicht.« Das gehe nur mit Druck von unten. »Dafür braucht es Basisaktivierung und Empowerment von Stadtteilinitiativen«, so Jörg. Das sei aus linker Sicht nicht immer einfach, weil man dabei auf viele Widersprüche treffe. Damit umzugehen und seine linke Blase auch mal zu verlassen, sei aber umso spannender. »Nur so können wir gesellschaftliche Veränderungen erreichen«, glaubt er.

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