Konserven ausverkauft

MEINE SICHT zum Hamsterkauf im Lebensraum des Biokunden

In Prenzlauer Berg siedelt eine sehr an alternativen Lebensweisen interessierte Bevölkerung, zu deren Grundbedürfnissen eine gesunde Ernährung mit frischen Lebensmitteln aus dem Bioladen zählt. Kost aus der Konserve ist verpönt. In diesem Klima blüht ganz besonders die Angst vor allen möglichen Katastrophen, deren Ausbruch für den Prenzlbürger immer nur eine Frage der Zeit ist. Breitet sich das Coronavirus aus, könnte dies zur Isolierung rund um den Kollwitz- und den Arnimplatz führen. Da weicht die tief verwurzelte Abneigung gegen die lange haltbare Nahrung aus der Konserve. Schließlich rieten die Behörden, Vorräte anzulegen.

Die Konserven in den Regalen werden also knapp, genauso wie das Klopapier. Bei einem Discounter in der Gegend war das billige Toilettenpapier aus Recyclingmaterial am Sonnabend schon ausverkauft, und selbst von der extra weichen, aber kein bisschen umweltschonenden Variante war nur noch ein Restposten verfügbar. Desinfektionsmittel gibt es dem Vernehmen nach überhaupt nicht mehr.

Panik entsteht aber nicht. Bei einer Lesung am Freitagabend bei einem Verlag an der Bornholmer Straße fragte ein Autor in gespielter Hysterie, ob er angesichts der Ansteckungsgefahr wirklich in das selbe Mikrofon sprechen solle wie die mit ihm lesende Frau und die Liedermacherin, die sie musikalisch begleitete. Kläglich scheiterte der Moderator der Lesung mit seinem Versuch, die angeblich letzte Dose Kartoffelsuppe aus dem Supermarkt von nebenan für eine horrende Summe zu versteigern. Niemand wollte bei zehn Euro mitbieten, nicht einmal bei zwei Euro. Eine Besucherin bot schließlich zehn Euro, wenn der Moderator mit den Faxen aufhöre. Die Dose könne er behalten.

Weiter voll sind die Züge von S- und U-Bahn. Dabei riet die Bundesregierung, öffentliche Verkehrsmittel zu meiden. Aber was soll der umweltbewusste Prenzlberger machen? Er hat kein Auto, und zum Radeln ist es ihm im Moment zu nass und zu kalt.

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