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Greenwashing mit Greta

Wie ökologisch war die DDR? Eine Erwiderung auf Matthias Krauß

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 9 Min.

Haben Sie etwa, weil Greta Thunberg vor dem schwedischen Parlament demonstrierte, überlegt, zu Hause zu Ökostrom zu wechseln? So einen Zusammenhang stellte das Preisportal Verivox Mitte letzten Jahres her und behauptete, »dank Greta Thunberg« seien der Klimawandel und seine Folgen in aller Munde und Ökostrom rücke »verstärkt in den Fokus der Verbraucher«. Und wo kam es zu den Wechseln? Auf dem Preisportal natürlich.

Längst haben die Wirtschaft und ihre Lobbyisten die Lektion gelernt: Mit der schwedischen Klimaaktivistin und den »Fridays for Future« (FfF) legt man sich besser nicht an. Es sich mit den Konsumenten von morgen zu verscherzen, wäre auch unklug.

Der Autor

Jörg Staude, Jahrgang 1962, aufgewachsen in der Niederlausitz, ist Journalist und Umweltexperte. Er widmet sich seit Langem ökologischen und energiepolitischen Themen, arbeitet als Redakteur der Online-Plattform klimareporter.de und schreibt für verschiedene Zeitungen.

Mit diesem Artikel antwortet er auf den Beitrag »So fern und in manchem doch so nah« von Matthias Krauß, der in der »nd«-Ausgabe vom 19. Februar erschienen ist. In beiden Texten geht es um die Frage, inwieweit die DDR-Umwelt- und Wirtschaftspolitik mit den Zielen der Bewegung »Fridays for Future« in Beziehung gesetzt werden kann.

Verkaufsträchtiger ist es, von Greta-ähnlichen Models Werbebotschaften unter die Leute bringen zu lassen, dass man ab jetzt (oder wahlweise in fünf oder zehn Jahren) seine Geschäfte nur noch nachhaltig und klimaneutral betreibt. Natürlich sind einen Klick weiter auch gleich die passenden Produkte, die das Klimagewissen in keiner Weise belasten, im Angebot.

Diese Art von Greenwashing gibt es nicht nur in die Zukunft gerichtet - auch die Vergangenheit lässt sich dank Greta Thunberg ganz neu interpretieren. So fragte in dieser Zeitung kürzlich der Autor Matthias Krauß, was die DDR mit den umweltpolitischen Idealen von Greta Thunberg zu tun hat (»So fern und in manchem doch so nah«, »nd« vom 19. 2).

Die Antwort darauf könnte kurz ausfallen: nichts. Man stelle sich vor, eine minderjährige DDR-Greta hätte sich mit einem unübersehbaren Schild, auf dem »Schulstreik für den Klimaschutz« steht, vors Parlaments gesetzt - also vor die im einstigen Palast der Republik residierende Volkskammer - und das noch an einem Freitag, an dem sie eigentlich auch in der DDR hätte zur Schule gehen müssen. Da ist schon fraglich, ob sie es dank der »wachsamen Sicherheitskräfte« mit dem Schild überhaupt bis zu den Stufen des Palasteingangs geschafft hätte. Und man mag sich gar nicht ausmalen, was in der Folge ihr selbst und vielleicht auch ihrem familiären Umfeld geblüht hätte.

Engagierte, gar renitente Umweltschützer begaben sich in der DDR in reale Gefahren. Zwar entstand die Umweltbewegung in der DDR parallel zur der in der BRD, heißt es in einer Studie des Ecologic-Instituts, aufgrund des restriktiveren politischen Systems in der DDR entwickelte sich die Ökobewegung im Osten aber anders.

Umweltthemen seien, so die Studie weiter, in der DDR oft als »Vehikel zu Systemkritik« genutzt worden. Das führte dazu, dass die Umweltbewegung unter strenger Beobachtung des Ministeriums für Staatssicherheit stand. Wurden ökologische Gruppen zu kritisch, seien sie kriminalisiert worden. Die meisten wichtigen Aktivist*innen in der Umweltbewegung der DDR hätten deswegen eine »gebrochene Biografie«, wurden wegen staatsgefährdender Gruppenbildung verhaftet oder erhielten Berufsverbot.

Eine »gebrochene« Biografie wäre das Mindeste gewesen, was Greta in der DDR gedroht hätte. Schon aus dieser individuellen Sicht verbietet es sich ziemlich kategorisch, Greta Thunberg mit dem zu recht verflossenen Staat in Verbindung zu bringen. Im Kern verkörpert die von Greta Thunberg mit initiierte Bewegung »Fridays for Future« auch das genaue Gegenteil dessen, wofür die staatsführende Partei und der angeschlossene Staat standen: »Fridays« ist eine spontan entstandene basisdemokratische, transparente und auf gleichberechtigte Mitwirkung aller ausgelegte Bewegung.

Die FfF-Proteste werden, wie eine Studie des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung zeigt, von jungen, gut gebildeten Menschen und überraschend stark von jungen Frauen getragen. Ziel der Demonstrierenden ist es, die Politik unter Druck zu setzen, klimapolitische Versprechen einzulösen. Sie sind, sagen die Forscher, aber auch davon überzeugt, dass eine Veränderung der Lebensweise und des Konsums einen wichtigen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel leistet. Die Demonstrierenden seien keineswegs hoffnungslos, sondern vielmehr handlungsbereit, politisiert und zuversichtlich, dass ihr Protest Veränderungen hervorrufen kann.

Wenn denn diese Charakterisierung auf jemanden in der DDR überhaupt zutrifft und der oder die dann auch legitimiert wäre, sich heute positiv auf Greta Thunberg zu beziehen, dann ist das allerhöchstens die meist oppositionelle Umweltbewegung in der DDR.

Natürlich ist sich auch Matthias Krauß des Problems bewusst, Greta Thunberg für etwas zu vereinnahmen, mit dem sie weder biografisch noch politisch etwas zu tun hat. Er muss deshalb eine ziemliche Volte schlagen und erklärt, dass auf den Feldern, die von Greta Thunberg politisch beackert würden, die Armseligkeit des üblichen geschichtlichen Rückblicks auf die DDR »besonders sinnfällig« werde.

Soll vermutlich heißen: Die offizielle DDR-Aufarbeitung hat bisher, nicht erkannt, dass die DDR in weiten Teilen doch ein Land des Klimaschutzes war - und zwar eines offenbar ziemlich rigorosen, wenn man denn schon Greta zum Maßstab nimmt. So würde es der schwedischen Aktivistin, behauptet Krauß, wohl gefallen, wenn sie wüsste, dass es in der DDR (elektrisch betriebene) Oberleitungsbusse gegeben habe, das Fernbahnnetz zu 40 Prozent elektrifiziert gewesen sei und die DDR so, schreibt der Autor, schon Schritte bezüglich »umweltschonender Verkehrsvarianten« gegangen sein.

Nun - da hätte der Autor doch mal genauer nachschauen sollen, mit welcher Art Strom diese O-Busse und Bahnen zu DDR-Zeiten gefahren sind. In ihrer Endzeit erzeugte die DDR mehr als 80 Prozent des Stroms aus meist recht alten und deswegen ineffizienten Braunkohlekraftwerken. Salopp gesagt: Werfen selbst moderne Braunkohleverstromungen etwa 60 Prozent der eingesetzten Energie weg, brachten es die DDR-Kraftwerke im Schnitt auf mehr als 70 Prozent Verlust.

Wie unfassbar groß deren CO2-Emissionen waren, wurde damals noch gar nicht groß thematisiert, sondern eher die Luftverschmutzung durch Stickoxide und Schwefeldioxid - so oder so aber ist sonnenklar: Die E-Loks und O-Busse der DDR waren im Betrieb echte braunkohlegetriebene Klimaverschmutzer. Zudem vollzog die DDR die Elektrifizierung der Bahn nicht aus hehren ökologischen Motiven, sondern weil seit Ende der 1970er Jahre aus dem »Bruderstaat«, der Ex-Sowjetunion, immer weniger Öl kam. Dennoch musste die DDR dieses Öl, verarbeitet natürlich, aus Devisengründen weiter in rauen Mengen in den Westen exportieren - und die energetische Lücke im Inland wurde mit immer absurderen Fördermengen der Braunkohle gestopft.

Recht armselig ist auch die von der DDR-Atomlobby kolportierte und von Krauß aufgegriffene Story, dass der Ausbau der Kernkraft in der DDR den Kohlendioxid-Emissionen der Kohleverstromung »entgegenwirken« sollte. So sei, schreibt Krauß, in Stendal ein Atomkraftwerk projektiert und zu bauen versucht worden, das die »halbe DDR« mit Strom versorgen sollte. Dafür hätten die in Stendal geplanten 2000 Megawatt allerdings hinten und vorn nicht gereicht - angesichts einer maximalen Kraftwerksleistung von knapp 22 000 Megawatt, über die die DDR 1985 verfügte und die oft bis zum Letzten ausgereizt wurde.

Angesichts der ewigen Energieknappheit plante die DDR-Führung keineswegs, die Braunkohleförderung zurückzufahren, sollten nach 1990 weitere Atomkraftwerke wie das in Stendal in Betrieb gehen. Tatsächlich sollte die Braunkohleverstromung mindestens bis zur Jahrtausendwende in derselben Höhe bleiben.

Zudem griff auch in der obersten DDR-Führung eine gewisse atomare Skepsis um sich - aber nicht aus der Erkenntnis, dass sich das Klima mit Atomstrom nicht retten lässt, sondern weil es mit Tschernobyl einen atomaren GAU gegeben hat, der nach sozialistischem Fortschrittsverständnis eigentlich nicht passieren durfte.

Weil man in der DDR, egal ob nun mit Braunkohle oder Atom, vor allem auf Großkraftwerke setzte, die damals noch weniger als heute flexibel auf die schwankende Stromnachfrage reagieren konnten, mussten parallel Projekte wie das große Pumpspeicherwerk Markersbach gebaut werden. Dieses nutzt den nächtlichen Stromüberschuss, um Wasser in die Höhe zu pumpen, das dann zu Spitzenlastzeiten stromerzeugend ins Tal stürzt. Markersbach sei, lobt Krauß, mit 1050 Megawatt der »Champion« unter den artgleichen Bauwerken in Deutschland gewesen und für ihn offensichtlich ein weiterer Thunberg’scher Pluspunkt in der DDR-Klimabilanz.

Aus der Sicht einer ökologischen Energiewirtschaft sind große Pumpspeicherwerke allerdings eher Dinosaurier - und das nicht nur, weil sie wertvolle Naturräume beanspruchen. Sie zementieren eben auch zentrale Strukturen, in denen der Strom aus Großkraftwerken über Zigtausende Kilometer Stromtrassen verteilt werden muss. Mit dem Aufkommen der erneuerbaren Energien gerieten die »Champions« denn auch unter Druck, weil sie tagsüber - wo die Sonne scheint und der Wind weht - nicht mehr wie früher ihren Spitzenlaststrom teuer verkaufen können, wie die Branche 2015 wortreich beklagt. Am liebsten würden die Betreiber, wenn die Bundesnetzagentur sie denn lassen würde, heute viele Pumpspeicherwerke vom Netz nehmen.

Solche Entwicklungen fechten Krauß nicht an. Was damals für gut erachtet wurde, kann heute nicht schlecht sein. Für ihn wäre in der DDR-Planwirtschaft, der, wie er beklagt, so »übel beleumdeten Staatswirtschaft«, auch eine Situation »schwer vorstellbar gewesen«, wo der Norden der Nation mit seinen Windrädern überflüssigen Strom produziert, der im Süden nicht abgenommen wird, weil die Zuleitungen fehlen. Klar - so eine Situation hätte es in der DDR nicht geben können, weil dieses Land zwar hier und dort über Windräder zum Testen oder Wasserschöpfen verfügte, aber, soweit man weiß, nur auf Hiddensee eines, das zu Testzwecken Strom ins öffentliche Netz einspeiste.

Kritik oder gar Widerstand gegen Stromtrassen wurde in der DDR-Planwirtschaft nicht zugelassen, wie es auch keine Verwaltungsgerichtsbarkeit gab, bei der Betroffene gegen die Abbaggerung ihrer Heimat hätten klagen oder wie heute die Einhaltung von Klimazielen hätten verlangen können. Den energiewirtschaftlichen Entscheidern wurde in der DDR das Feld freigeräumt - diese Energiewirtschaft war genauso zentralistisch, wie RWE und Eon sie heute noch immer gern haben wollen. Mit den Idealen von Greta Thunberg hatte und hat das nichts zu tun.

Kein Wunder auch, dass sich nach dem Mauerfall die Spitzen der Energiebranche beider Länder meist prächtig verstanden. Ihnen waren, ob in Ost oder West, dezentrale Lösungen, die auf Sonne, Wind und bürgernahe Mitbestimmung setzen oder gar auf Bürgerkraftwerke, ein Graus. Auch wenn man heute mit einem gewissen Verständnis auf die wirtschaftlichen Zwänge der DDR schauen kann - Teile dieser Wirtschaft aber zu Beispielen hochzustilisieren, die Greta Thunberg gefallen hätten, geht an der geschichtlichen Realität vorbei. Das ist historisches Greenwashing.

Wenn denn von der DDR-Umweltpolitik etwas aufhebenswert erscheint, dann ist das ohne Zweifel das Netz an Natur- und Großschutzgebieten, das in der Wendezeit geschaffen wurde. Auch hier ist Sentimentalität fehl am Platze: Die wertvollsten Naturräume entstanden auch in der DDR vor allem dort, wo der Zutritt zur Natur drastisch limitiert wurde - auf den ehemaligen Militärübungsplätzen sowie in den Grenzgebieten zum Westen. Letztere werden heute als Grünes Band erhalten. Die Naturgebiete wurden übrigens von der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière auf ihrer letzten Sitzung unter Schutz gestellt.

Nicht ganz zufällig wurde wegen dieser historisch einmaligen Leistung die von den Nestoren des ostdeutschen Naturschutzes, Erna und Kurt Kretschmann, geschaffene Eule zum gesamtdeutschen Naturschutzsymbol. Warum sie sich ausgerechnet für eine Eule entschieden haben, erklärte Kurt Kretschmann einmal so: Gerade weil Eulen so verleumdet wurden, habe er diesen Vogel zum Symbol machen und den Menschen damit zeigen wollen, dass dieser Vogel wichtig für uns ist.

Ob der Gedanke Greta Thunberg gefallen würde? Vielleicht.

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