EU ringt um Klimagesetz

Aktivistinnen kritisieren Entwurf der Europäischen Kommission scharf

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Zur Präsentation ihres Klimagesetzes holte sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch die schwedische Aktivistin Greta Thunberg an ihre Seite. Zumindest ihr Versprechen, nach 100 Tagen ein Klimagesetz für ihren zu Amtsbeginn verkündeten »Green Deal« vorzulegen, hat von der Leyen eingelöst.

Mit dem Gesetz - bislang nicht mehr als ein zwölfseitiger Entwurf - verfolgt die Kommission das Ziel, die CO2-Emissionen der Europäischen Union bis 2050 auf netto Null zu senken. Anschließend soll der Atmosphäre sogar CO2 entzogen werden, etwa durch die Bindung von Kohlenstoff in Wäldern und Böden. Damit will die EU zum Ziel des Paris-Abkommens beitragen, die Erderwärmung möglichst bei 1,5 Grad und mindestens »deutlich unter zwei Grad« zu stoppen.

Das Gesetz sieht bisher vor, dass im September über das neue Emissionsziel der EU für 2030 entschieden wird. Dieses liegt derzeit bei 40 Prozent CO2-Reduktion gegenüber 1990 und soll laut »Green Deal« auf 50 bis 55 Prozent angehoben werden.

Schon jetzt drängen die Umweltminister von zwölf EU-Ländern - Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) ist nicht darunter - auf einen strafferen Zeitplan. Die Minister verlangen in einem am Dienstag bekannt gewordenen Schreiben, dass »spätestens im Juni« über das 50- bis 55-Prozent-Ziel entschieden wird.

Der Grund: Im September findet in Leipzig der EU-China-Gipfel statt. Das ist dieses Jahr die beste Gelegenheit, um den großen Emittenten China zu einer Verschärfung seines Klimaziels für 2030 zu bewegen. Dazu muss die EU aber, so sind die Regeln der Klimadiplomatie, ihrerseits vor dem Gipfel ein neues Ziel verabschieden.

Auch gegen die Absicht von der Leyens, mit dem Gesetz die Kompetenz für Klimapolitik an sich ziehen, regt sich bei den EU-Ländern Widerstand. Ab 2023, so sieht es der Entwurf vor, sollen die EU-Klimaziele alle fünf Jahre überprüft und wenn nötig angehoben werden. Die neuen Ziele würden dann automatisch in Kraft treten, außer das EU-Parlament oder die Mitgliedsstaaten lehnen dies mit einer sogenannten qualifizierten Mehrheit ab.

Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht in dem Verfahren sogar das Kernanliegen des EU-Klimagesetzes. Es gehe weniger um neue Ziele als um neue Entscheidungsverfahren, insbesondere um eine Machtverschiebung von den Mitgliedsstaaten zum Europaparlament und vor allem zur EU-Kommission, so der Experte.

Weder mit dem Zeitplan und noch mit dem 50- bis 55-Prozent-Ziel sind Umwelt- und Klimaschützer zufrieden. Greta Thunberg, Luisa Neubauer und 32 weitere Jugendliche von Fridays for Future bezeichneten das EU-Klimagesetz in einem Brief als »Kapitulation«. Sie bemängeln, dass die EU bereit ist, das Pariser 1,5-Grad-Ziel mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu verfehlen. »Sogar ein Kind versteht, dass das viel zu riskant ist«, schreiben die Aktivistinnen.

Wenn das Ziel jedoch mit einer Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit eingehalten werden soll, müssen die Emissionen deutlich schneller sinken. Wenn die EU das 1,5-Grad-Ziel ernst nehme, müsse sie bereits 2040 bei null Emissionen sein, sagte Klaus Röhrig vom Climate Action Network Europe in Brüssel. Um das zu erreichen, halten die Klimaschützer es für angebracht, auch das EU-Klimaziel für 2030 nach oben zu schrauben - statt 50 bis 55 Prozent CO2-Einsparung sollen es 65 Prozent sein.

Ottmar Edenhofer, Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, nannte das vorgelegte Gesetz einen »wichtigen Schritt in die richtige Richtung«. Es genüge aber nicht, die richtigen Ziele zu setzen, nötig seien auch »klar definierte Wege« und »kurzfristige Einstiegspunkte«. Für Edenhofer ist dabei eine kluge und umfassende CO2-Bepreisung die »effizienteste und sozial gerechte Maßnahme«. Das sollte die EU jetzt angehen.

Cornelia Ernst, energiepolitische Sprecherin der Linksfraktion im Europaparlament, kritisierte, der Entwurf »springt eindeutig zu kurz«. Alles Verbindliche werde auf die lange Bank geschoben. Zudem solle der Weg zur Klimaneutralität bis 2050 kosteneffizient sein, so stehe es im Gesetz. »Das setzt dem Ganzen die Krone auf. Wir brauchen keine kosteneffizienten Maßnahmen, sondern klimaschützende und soziale Maßnahmen, die Jobs schaffen«, forderte Ernst.

Die Umweltorganisation Germanwatch sieht dagegen im Entwurf einen Meilenstein in Bezug auf die Verbindlichkeit. Zwar gebe es Nachbesserungsbedarf, sagte Geschäftsführer Christoph Bals. Aber er sei ein »Signal, dass die EU die Verpflichtung im Klimaabkommen ernst nimmt, ihre Klimaziele künftig alle fünf Jahre nachzubessern«. Kommentar Seite 10

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