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Nachfolge- und Vorgängerpartei
Thorsten Holzhauser über die Integration der PDS in das politische System der Bundesrepublik
Es gibt kein Buch, das die Geschichte der PDS bis 2005 auch nur ähnlich umfassend, konkret und detailliert analysiert wie das von Thorsten Holzhauser. Wer sich über die widerspruchsvolle Geschichte der sogenannten »Nachfolgepartei« - wie die PDS jahrelang in politisch intendierter, diskriminierender Anspielung auf deren Vorgängerin, der SED, genannt wurde - informieren möchte, deren heftigen inneren und äußeren Auseinandersetzungen sowie deren politisches Umfeld näher kennenlernen will, wird an diesem Buch nicht vorbeikommen. Es ist zugleich höchst spannend für jene, die darüber nachdenken, wie und warum sich die Bedingungen für linke Kräfte veränderten, wie viel sie an Boden verloren haben, der neu gewonnen werden kann und muss, und wie insbesondere die Linkspartei, Nachfolgerin der PDS, heute in Ostdeutschland wieder erfolgreich werden kann. Man sollte sich jedoch nicht mit Nachdenken begnügen, sondern um ein neues Tun, in Parlamenten wie auch außerhalb, bemühen. Die Suche nach neuen, unkonventionellen Wegen ist meines Erachtens heute nur bei Bodo Ramelow und Susanne Hennig-Welsow in Thüringen erkennbar.
Obwohl es Holzhauser vor allem um die »Integration der PDS in das politische System der Bundesrepublik Deutschland« geht, werden von ihm fast alle Aspekte der Geschichte dieser Partei empirisch und überzeugend »beackert«. Kritik an nicht wenigen Entscheidungen und Aktivitäten sowie verschiedenen Akteuren bleibt nicht aus. Kritik bzw. Selbstkritik war damals in der PDS selbst reichlich vorhanden. Und ist sicherlich auch in der heutigen Linkspartei erforderlich, auch im Umgang mit ihrer eigenen Herkunft.
Für mich und sicherlich auch für viele anderen verbindet sich mit dem Thema dieses Buches eine sehr lebendige Erinnerung an eine äußerst emotionale Zeit. Bei der Lektüre des ersten Abschnittes über »Die Entstehung der PDS aus der SED« erinnerte ich mich, wie viele Mitglieder seinerzeit verzweifelt waren, oft auch in Tränen ausbrachen, und dass bei vielen Veranstaltungen in den Bezirksleitungen äußerst heftige Auseinandersetzungen entbrannten. Auch darüber informiert Holzhauser.
Vielen ehemaligen SED-Mitgliedern, die damals die Partei erneuern und erhalten wollten, musste Gregor Gysi wie ein Messias erschienen sein. Der Verlag setzte ein Foto mit dem charismatischen Politiker auf das Buchcover. Keine Frage, dass Gysi eine mehr als zentrale Rolle im Erneuerungsprozess eingenommen hatte. Doch bei allen dramatischen Differenzen innerhalb der Partei und schmerzlichen Verlusten - die spätere Erfolgsgeschichte wäre ohne das Engagement Tausender unmöglich gewesen.
Nach 1990 ging es bei allen Wahlen im vereinigten Deutschland für die PDS abwärts. Holzhauser erinnert daran. Die Massenarbeitslosigkeit in Ostdeutschland, das verhängnisvolle Wirken der Treuhand, Deindustrialisierung und Abwertung von Biografien Ostdeutscher katapultierten die PDS jedoch dann aus der Isolation in den Blickpunkt des Interesses von Millionen Bürgern. Sie avancierte zu einer Protestpartei, mit ihr verband sich der Wunsch nach einer Alternative zum realen Kapitalismus. Die PDS wurde zu einer »Kümmereipartei«. Im Buch liest man: »Das hatte vor allem mit der Transformation der früheren DDR zu tun. Was auf die staatliche Vereinigung folgte, schien aus der Sicht vieler die Warnungen der PDS zu bestätigen.«
Das Jahr 2001 brachte den Umschwung, riss die PDS aus dem Umfragetief und führte sie zu ihrem größten Wahlerfolg in Berlin. Holzhauer urteilt: »Es war letztlich weder die Wirtschafts- noch die Geschichtspolitik und auch kein spezifisch landespolitisches Thema, das kurz vor der Wahl im Herbst 2001 die Schlagzeilen bestimmte.« Da ich damals Gysis Wahlkampf leitete, weiß ich, dass wir kurz vor der Wahl kein Geld mehr zur Verfügung hatten, um auch nur ein einziges neues Plakat zu finanzieren. Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten gingen zu Abertausenden auf die Straße, um für uns Stimmen zu sammeln.
Es ist ein großes Verdienst des Autors, dass er es in seiner Darstellung nicht bei der PDS und deren Wandel belässt, sondern auch die Politik der CDU/CSU, SPD, der Grünen, der Gewerkschaften sowie der evangelischen Kirche einbezieht. Obwohl das Buch eigentlich mit dem Jahr 2005 endet, gibt es auch ein darüber hinausgehende Resümee: »In Deutschland … klang die Debatte um die hiesige Linkspartei im dritten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung weitgehend ab.« Die Partei ist in der deutschen Parteienlandschaft angekommen und weitgehend akzeptiert. Es folgt die ernüchternde und leider wahre Beobachtung des Autors: »Vor allem jedoch rückte mit der ›Alternative für Deutschland‹ (AfD) eine neue politische Partei in den Mittelpunkt der Debatte, die der Linkspartei ihre tribunizische Funktion im Parteiensystem streitig machte.« Wer an die aktuellen Beschlüsse der Unionsparteien CDU/CSU, die eine Kooperation mit der Linkspartei wie mit der AfD, ausschließen und Unvergleichliches gleichsetzen, wird zu dem Schluss kommen, dass von selbstverständlicher Akzeptanz und Integration der Nachfolger der »Nachfolgepartei« in der Bundesrepublik noch keine Rede sein kann.
Die intensiven Quellen- und Literaturhinweise in diesem Buch künden nicht nur von dessen hohem wissenschaftlichen Niveau, sondern geben Leserinnen und Lesern wertvolle Hinweise zu weiterführenden Studien.
Thorsten Holzhauser: Die »Nachfolgepartei«. Die Integration der PDS in das politische System der Bundesrepublik Deutschland 1990-2005. Verlag Walter de Gruyter, 492 S., geb., 69,90 €.
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