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Ende einer Hängepartie
Die BVG darf bis zu 1500 neue U-Bahnwagen beim Hersteller Stadler bestellen
»Sie werden das Verfahren hier verlieren«, sagte der beisitzende Richter Magnus Radu kurz vor Schluss des zweiten Verhandlungstags an die Anwälte des Klägers gerichtet. Sie vertreten den französischen Schienenfahrzeugkonzern Alstom, der wegen der milliardenschweren Bestellung von bis zu 1500 neuen U-Bahnwagen gegen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Klage eingereicht hat. Knapp zwei Stunden später teilte das Kammergericht offiziell mit: Die Klage ist abgewiesen. Eine Berufung gegen das Urteil ist nicht möglich.
Damit kann die BVG knapp zehn Monate nach der offiziellen Verkündigung des Gewinners des Vergabeverfahrens den Auftrag an die Pankower Tochter des Schweizer Bahnkonzerns Stadler auslösen. »Wir sind sehr erleichtert, dass wir nun den für die Berlinerinnen und Berliner so wichtigen Zuschlag für den Kauf von bis zu 1500 neuen U-Bahnwagen erteilen können«, erklärt BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt auf nd-Anfrage.
»Endlich können wir neue Züge für die BVG und die Modernisierung auf den Weg bringen«, kommentierte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), die Aufsichtsratsvorsitzende des Unternehmens ist, das Urteil. Sie bezeichnete es als einen »wirklichen Lichtblick in der Krise«. »Nach der Krise geht es weiter, auch dafür schaffen wir jetzt schon die Voraussetzungen«, so die Senatorin weiter.
Bestandteil des Rahmenvertrags ist eine feste Mindestbestellmenge von 606 Wagen. Stadler werde ab 2022 in einem ersten Abruf 376 Wagen für zwei-bis vierteilige Fahrzeugeinheiten für das sogenannte Kleinprofil der Linien U1 bis U4 und das sogenannte Großprofil der Linien U5 und U9 liefern, teilte das Unternehmen am Freitagabend mit. Weitere 230 Wagen seien fest bestellt, würden jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt abgerufen. Der Auftragswert dafür liege inklusive Ersatzteilversorgung für 32 Jahre bei 1,2 Milliarden Euro. Das entspricht rechnerisch also knapp unter zwei Millionen Euro pro Einzelwagen – inklusive dem Ersatzteilpaket ein äußerst günstiger Preis. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, bis zu 894 weitere Wagen aus dem Rahmenvertrag abzurufen.
Der Schnäppchenpreis hat Auswirkungen. Wie berichtet werden die Züge über keine Klimatisierung verfügen. Die Renderings lassen im Vergleich zu den Modellen der letzten 25 Jahre eher spärliche Fensterflächen erkennen. Während des laufenden Verfahrens schimpften Insider bereits über eine »Billigbahn«, die da komme. Die Fahrzeuge für das Kleinprofil der Linien U1 bis U4 werden nur noch zwei Türen pro Wagen haben statt drei, wie bei den letzten Lieferungen. Weil diese aber breiter sind und gleichmäßiger verteilt soll das laut BVG keinen Einfluss auf den Stationsaufenthalt haben.
Die neue Baureihe wird von der BVG die Bezeichnung J/JK erhalten und orientiert sich an den bereits im Netz verkehrenden Zügen des Typs Ik, der auf U1, U2 und U5 fährt. Stadler hebt die flacheren Türsäulen an den neuen Zügen hervor, die einen schnelleren Ein-und Ausstieg ermöglichen soll. Außerdem sollen die Informationsbildschirme, die im Vorläufermodell noch störend in den Türbereichen montiert sind, im neuen Typ in den gewölbten Übergang zwischen Seitenwand und Decke wandern und somit eine bessere Durchsicht durch den gesamten Wagen ermöglichen.
»Wir haben entschieden, bereits geplante Investitionen in den Stadler-Standort in der deutschen Hauptstadt zeitlich vorzuziehen, um eine optimale Basis für die Abwicklung dieses Großprojekts zu schaffen«, kündigt Stadler-Deutschlandchef Jure Mikolčić an. Bis zu 70 Millionen Euro sollen demnach für den Ausbau des Standorts Pankow fließen.
Bei der Gerichtsverhandlung am Freitagnachmittag ging es in den letzten Minuten noch einmal hoch her. Nachdem das Gericht erklärt hatte, dass ein Urteil bis zu einem halben Jahr dauern könnte, kündigte BVG-Anwalt Malte Müller-Wrede an, zumindest eine Entscheidung über einen möglichen Produktionsstart der Züge zu erzwingen. Auf entsprechenden Antrag hätte das Gericht innerhalb von zwei Wochen entscheiden müssen, ob trotz laufenden Verfahrens dem ursprünglich siegreichen Bieter Stadler Pankow der Auftrag erteilt werden kann. »Berlin braucht diese U-Bahnen«, sagte Müller-Wrede.
Die Ankündigung der langen Prozessdauer war wohl Teil der Bemühungen des Gerichts, Alstom zum Einlenken zu bewegen und einen Vergleich zu erzielen. Doch dafür sah es denkbar schlecht aus. »Bei diesem Punkt bin ich komplett raus. Stündlich, täglich ändern sich die Verhältnisse«, erklärte Alstom-Anwältin Sandra Krüger. Der Vertreter von Stadler äußerte kartell- und wettbewerbsrechtliche Bedenken und rügte, ebenso wie sein BVG-Kollege, mangelnden Stil bei den Alstom-Anwälten.
Schon der erste Verhandlungstag vor dem Kammergericht im November 2019 nahm keinen günstigen Verlauf für Alstom. Die Vorsitzende Richterin Cornelia Holldorf machte deutlich, dass sie alle 23 von den Franzosen gerügten Punkte für nicht stichhaltig hielt. Für Außenstehende kaum nachvollziehbar, wurden doch Vorwürfe wie ein nicht dokumentierter Anruf der BVG vorgebracht, bei dem der französische Hersteller auf bis zu 15 Prozent niedrigere Preise der Konkurrenz hingewiesen worden sein soll. Die Linie des Gerichts: Ein Konzern wie Alstom müsse solche Vorwürfe noch während des Vergabeverfahrens erheben. Die Vergabekammer Berlin hatte zuvor im Nachprüfungsverfahren ähnlich argumentiert.
Alstom hatte die Vergabekammer angerufen, als nach einem langwierigen Verhandlungsverfahren, das bereits 2016 begonnen hatte, im Mai 2019 Stadler von der BVG den Zuschlag erhalten hatte. Der dritte Bieter, ein Konsortium der Konzerne Siemens und Bombardier wurde bereits während des laufenden Verfahrens aus formalen Gründen ausgeschlossen. Es war mit den von der BVG diktierten Bedingungen nicht einverstanden und bot selbst andere Konditionen an – ein selbstgewähltes K.O.
Am Freitag kamen vor dem Kammergericht weitere, von Alstom im schriftlichen Verfahren vorgebrachte Punkte zur Sprache. Unter anderem wurde als Beweisstück ein Foto der auf dem Wagenkasten vermerkten Gewichtsangabe der aktuell von Stadler für die Berliner U-Bahn produzierten Züge der Baureihe Ik vorgebracht. Demnach seien diese schwerer, als im Vergabeverfahren angegeben. Die BVG konterte mit Wiegeprotokollen, die Teil des Abnahmeverfahrens für neue Wagen ist und die niedrigere Werte enthielten. Sie argumentiert, dass das höhere Gewicht einen Sicherheitszuschlag enthält, damit es etwa bei einer Bergung durch die Feuerwehr keine unangenehmen Überraschungen gibt.
Zumindest einen Vorteil kann Alstom aus dem Verfahren ziehen: Der Konzern konnte einen sehr genauen technischen Einblick in die Fahrzeuge des Konkurrenten Stadler nehmen.
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