Stille Angst in Nordafrika

Frühe und drastische Maßnahme sollen die Ausbreitung des Virus verhindern

  • Mirco Keilberth, Tunis
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Länder Nordafrikas bereiten sich auf eine steigende Zahl von Covid-19-Erkrankungen vor und haben ihre Grenzen geschlossen. Während fast alle Touristen am Freitag vor der Schließung des Luftraumes aus Tunesien evakuiert wurden, warten immer noch Tausende in Ägypten und Marokko auf ihre Rückflüge. Der deutsche Außenminister Heiko Maas betonte, dass die größte Rückholaktion der Geschichte der Bundesrepublik noch bis in die nächste Woche andauern wird. Obwohl es offiziell erst 75 an Corona Erkrankte in Tunesien gibt, haben die Behörden besonders eilig das öffentliche Leben auf ein Minimum reduziert. Nachdem drei Patienten starben und mehrere Europarückkehrer aus der obligatorischen Selbstisolation flohen, wurde die Ferieninsel Djerba zum Sperrgebiet erklärt.

Kurz nachdem die letzte Lufthansa-Maschine am Freitag gegen 17 Uhr vom Flughafen Tunis-Carthage abhob, wurden sämtliche Flughäfen geschlossen, seit Sonntag dürfen die Bürger nur für Einkäufe und Notfälle auf die Straßen gehen. Läden und die großen Zuliefererbetriebe der deutschen Automobilindustrie sind wie Restaurants und Cafés geschlossen. Premierminister Elyes Fakhfah warnte am Samstagabend in einer Fernsehansprache vor der größten Krise Tunesiens seit seiner Unabhängigkeit und kündigte ein Hilfspaket in Höhe von 850 Millionen US-Dollar an.

Der erst seit wenigen Wochen amtierende Regierungschef will vorerst Steuerzahlungen aussetzen, Steuerschulden vorübergehen stunden und armen Familien mit Krediten helfen. Schon vor der Coronakrise war Tunesien allerdings dringend auf die Auszahlung eines Kredites der Weltbank angewiesen, deren Vertreter aber auf die versprochene Umsetzung von Wirtschaftsreformen pochen. Für die im April fälligen Beamtenlöhne ist ohne ausländische Kredite kein Geld mehr da. Trotzdem sollen Beamte wie auch Mitarbeiter der Lebensmittelgeschäfte bis zum 4. April - bis dahin gelten die verhängten Maßnahmen - weiterarbeiten.

Über 4000 Menschen befinden sich in häuslicher Quarantäne, doch nur wer akute Symptome hat und aus dem Ausland eingereist ist, wurde bisher getestet. Die tatsächliche Zahl der Erkrankten dürfte wesentlich höher liegen. Rund um die Uhr wird in den Medien diskutiert, ob die im Vergleich zu Europa früh erlassenen Maßnahmen die Verbreitung des Virus gestoppt haben. Italienische Zustände würden wie überall im Maghreb zu einer existenziellen Krise führen - in ganz Tunesien stehen nur 300 Betten auf Intensivstationen zur Verfügung.

Da mehr als die Hälfte der jungen Arbeitnehmer im informellen Sektor als Händler oder Tagelöhner außerhalb der regulierten Wirtschaftsstruktur beschäftigt ist, gilt vor allem in den armen Regionen des Südwestens das Gleiche wie in vielen Ländern des Kontinents: Nicht zur Arbeit zu gehen bedeutet zu hungern. Sollte die Strategie des Eindämmens von Corona also nicht funktionieren, werden es wohl noch mehr Gemeinden dem Bürgermeister der Wüstenoase Tataouine gleichtun. Boubakr Souid weigert sich, die verordnete Sperrstunde anzuerkennen, wohl auch aus Angst vor sozialen Unruhen.

Auch das benachbarte Libyen hat die Grenzen geschlossen. Bürgerinitiativen klären in den Städten Bengazi und Tripolis und entlang der immer noch aktiven Routen der Menschenschmuggler über das Virus auf.

Noch gibt es in dem Bürgerkriegsland keine Corona-Fälle. »Doch in den letzten Wochen sind viele Libyer aus Europa zurückgekehrt«, gibt der Aktivist Mohamed Alhmozzi aus Tripolis zu bedenken. »Sollte es schwere Corona-Erkrankungen geben, werden sie bei vielen Krankenhäusern wegen der vielen dort behandelten Kriegsverwundeten abgewiesen werden.« An der Front im Süden der Hauptstadt hatte die Libysche Nationale Armee (LNA) unter Kontrolle von General Khalifa Haftar vergangene Woche eine erneute Offensive gestartet. Doch wie schon seit April vergangenen Jahres schaffte es die LNA nicht, in die Innenstadt von Tripolis einzudringen. Stattdessen bestätigte sie, weiterhin der im Januar in Berlin mündlich vereinbarten Waffenruhe verpflichtet zu sein. Doch auch am Sonntag gab es schwere Kämpfe. »Krieg und Corona sind zu viel für ein Bürgerkriegsland«, sagt Alhmozzi. Viele Libyer hoffen, dass die wohl kommende Welle von Erkrankungen den beiden Kriegsparteien die Gelegenheit bietet, ohne Gesichtsverlust den Waffenstillstand tatsächlich einzuhalten.

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