Boykott im Sinne von Banken und Konzernen

Die Kritik an den ausgesetzten Mietzahlungen von Adidas und Co. greift zu kurz

  • Philipp Möller
  • Lesedauer: 3 Min.

Adidas traf in den vergangenen Tagen eine Welle der Empörung, nachdem ein Sprecher am Freitag verkündete, dass das Unternehmen »vorsorglich Mietzahlungen temporär aussetzt, wo unsere Läden geschlossen sind«. Der Sportartikel-Hersteller aus Herzogenaurach berief sich dabei auf ein kürzlich verabschiedetes Gesetz, das Mieter zwischen April und Juni vor Kündigungen aufgrund von Mietschulden schützt. Zwar verzeichnet das Unternehmen aufgrund von erzwungenen Ladenschließungen weltweit Umsatzeinbrüche, existenzbedrohend ist das jedoch nicht.

Im vergangenen Geschäftsjahr erwirtschaftete die Firma knapp zwei Milliarden Euro Gewinn und verfügt über ein Barvermögen von 873 Millionen Euro. Die Ausschüttung der Dividenden stieg um 15 Prozent. Die Inanspruchnahme des Gesetzes durch den global Player, der eigentlich die Sorgen von in Existenznot getriebenen (Kleinst-)Betrieben mildern soll, rief entsprechend erzürnte Reaktionen hervor. In den sozialen Medien verbreiteten Nutzer nach der Ankündigung Boykottaufrufe. Der Bundestagsabgeordnete Florian Post (SPD) verbrannte ein Adidas-Poloshirt und teilte ein Video der Aktion auf Twitter und Instagram, das tausendfach geklickt wurde.

Adidas ruderte schließlich zurück und gab am Sonntag bekannt, kleinen privaten Vermietern die Miete weiter zu überweisen. Das betrifft vier ihrer bundesweit 26 Filialen. Gleichzeitig verkündete das Unternehmen, bei den restlichen Eigentümern handele es sich um »große Immobilienvermarkter und Versicherungsfonds«, die Verständnis für das Agieren zeigten. Mit anderen Worten: Die Solidarität der Adidas-Boykotteure galt Versicherungskonzernen, Banken und Betreibern von Shoppingcentern. Darüber hinaus stellte Adidas klar, dass es lediglich eine Stundung der Mietzahlungen ginge. Während der Coronakrise angehäufte Mietschulden sind bis Juni 2022 inklusive Zinsen zurück zu zahlen. Im Gegensatz zu vielen privaten Haushalten sichert der Fiskus die großen Konzerne umfassend ab. Bei Zahlungsschwierigkeiten können sie zinsvergünstigte Kredite der staatlichen Förderbank KfW beantragen.

Es lässt sich also feststellen: Mit der temporäre Aussetzung der Mietzahlung folgen Adidas, Deichmann und Co. kapitalistischen Prinzipien. Ein Gut oder Böse gibt es dabei nicht. Ulrike Hermann machte in der »taz« deutlich, dass es sich bei der Auseinandersetzung um die Mietzahlung um einen »Machtkampf zwischen Großkonzernen« handelt. Es ginge darum, »wer die Zinslasten tragen muss, die für Corona-Kredite fällig werden«. Dass weder Grundeigentümer noch Produzenten wenig zu befürchten haben, dürfte angesichts vergangener Rettungsmaßnahmen in Krisenzeiten, die stets dem Kapital dienten, nicht verwundern.

Warum die sich abzeichnende Krise nun die Grundeigentümer trifft, lässt sich mit Blick auf die politische Ökonomie erklären. Pacht- oder Mietzahlungen an sie werden vom produzierenden Kapital in Form von »Renten« aus dem bereits erzielten Mehrwert geleistet. Grundlage der Einnahmen der Grundbesitzer ist allein ihr Besitztitel. Verlangsamt sich, wie aktuell zu beobachten, die Mehrwertproduktion und fallen die Einnahmen aufgrund mangelnden Konsums weg, können sie ihren Teil des Gewinns nicht mehr abschöpfen.

In der Kritik am Verhalten von Adidas wird der Charakter der sich im Krisenmodus befindlichen Standortpolitik deutlich, die man als »Corona-Korporatismus« bezeichnen kann. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) brachte das gegenüber »Bild am Sonntag« auf den Punkt: »Es irritiert, wenn große Unternehmen einfach so einen Mietzahlungsstopp verkünden. Jetzt ist die Zeit der Kooperationen.« In der Krise soll die Bevölkerung über alle Klassengegensätze und Einzelinteressen hinweg zum Wohle der Nation und seiner »Wirtschaft« zusammenrücken.

Die Kosten der Krise werden stattdessen externalisiert. Laut Informationen der Hilfsorganisation Medico International stoppten Bundeskanzleramt und Bundeswirtschaftsministerium in der vergangenen Woche ein geplantes Lieferkettengesetz, das deutsche Unternehmen auf die Einhaltung der Menschenrechte in ihren Produktionsstätten im globalen Süden verpflichtet hätte. »In Zeiten von Corona dürfe man deutsche Unternehmen nicht noch mehr belasten«, hieß es zur Begründung. Zur Rettung des heimischen Kapitals werden schwerste Menschenrechtsverletzungen und Hungerlöhne seit jeher billigend in Kauf genommen.

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