Selenskyjs Partei fällt auseinander
Um internationale Hilfskredite zu sichern, pocht der ukrainische Präsident auf die Umsetzung unliebsamer Gesetze
Für die Ukraine geht es in der aktuellen Krise nicht zuletzt ums wirtschaftliche Überleben. Umso öfter fällt das Wort Staatsbankrott in der innenpolitischen Debatte des neben Moldawien ärmsten Landes Europas. Selbst Präsident Wolodymyr Selenskyj äußerte sich neulich deutlich: »Wegen des Coronavirus stehen wir am Scheideweg. Entweder verabschieden wir zwei überlebenswichtige Gesetze und bekommen finanzielle Hilfe, oder es droht uns der wirtschaftliche Niedergang und Zahlungsunfähigkeit.« Dabei geht es um ein neues dreijähriges IWF-Kreditprogramm in Höhe von acht Milliarden US-Dollar sowie um einen Kredit der Weltbank - eine Milliarde US-Dollar - und Finanzhilfe von der EU in Höhe von 500 Millionen Euro.
Daher musste das ukrainische Parlament am Montag bis nach Mitternacht tagen, um zwei von den internationalen Institutionen geforderte Gesetze zu verabschieden. In Zeiten von Corona ohnehin ein schweres Unternehmen, denn sechs Abgeordneten wurden bereits positiv auf Covid-19 getestet, manche davon haben sich um den 8. März in Courchevel aufgehalten. Unter anderem ging es um die bereits in erster Lesung verabschiedete Öffnung des Bodenmarktes, die laut Umfragen von fast 60 Prozent der Ukrainer abgelehnt wird, weil diese den Ausverkauf des Landes an das Ausland befürchten. Ein größerer Protest auf den Straßen ist wegen der Quarantäne allerdings unmöglich.
Doch obwohl die zweitgrößte Fraktion im Parlament, die prorussische Oppositionsplattform, zwischenzeitlich das Rednerpult blockierte, und auch trotz fehlender Stimmen in der Präsidentenfraktion »Diener des Volkes«, die eigentlich über die absolute Mehrheit verfügt, ist es letztlich zur endgültigen Verabschiedung der umstrittenen Reform gekommen. Selenskyj musste dafür auch mit seinem Vorgänger und Gegner Petro Poroschenko kooperieren, der sich noch vor kurzem kritisch über die Öffnung des Bodenmarktes äußerte. Ab Juli 2021 dürfen nun Grundstücke verkauft werden. Bis 2024 dürfen ausschließlich ukrainische Staatsbürger als Privatpersonen bis zu 100 Hektar kaufen. Danach können auch Unternehmen Land erwerben, die Obergrenze wird auf 10 000 Hektar erhöht.
Die prinzipielle Frage, ob auch Ausländer ukrainischen Boden kaufen dürfen, soll noch in diesem Jahr durch eine Volksabstimmung entschieden werden. Die prorussische Oppositionsplattform sowie die Vaterlandspartei der Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko wollen dagegen klagen. Ihre Chancen, vom Verfassungsgericht Recht zu bekommen, sind aber nicht besonders hoch. Ein anderes Gesetz, das vom IWF gefordert wird und am Montag in erster Lesung verabschiedet wurde, soll dem Oligarchen Ihor Kolomojskyj den Rückerhalt seiner Privatbank verbieten. Kolomojskyjs Privatbank, die größte Bank des Landes, wurde Ende 2016 aufgrund der drohenden Insolvenz verstaatlicht.
Doch obwohl Selenskyj wegen des nun wohl vorerst abgewendeten Staatsbankrotts aufatmen kann und dank Corona keine Proteste zu befürchten hat, bleiben ihm riesige Kopfschmerzen. Denn seine eigene Partei zerfällt gerade. Sowohl die Abgeordneten der Kolomojskyj-Gruppe als auch der prowestliche Teil stimmen bei unterschiedlichen Fragen gegen die Parteilinie. Und die nötige Kooperation mit dem klaren Gegner Poroschenko übersieht die Stammwählerschaft nicht. Selenskyj muss sich daher auf düstere Zeiten einstellen.
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