- Kommentare
- Corona in der Türkei
Lieber kriminell als kritisch
Philip Malzahn über eine selektive Amnestie in der Türkei
Politischer Gefangener in der Türkei zu sein, war noch nie ein Zuckerschlecken. In diesen Tagen könnte es jedoch zum Todesurteil werden. Bis zu 100 000 Gefangene, die zur Risikogruppe bei Corona-Erkrankungen gehören, sollen aus dem Gefängnis in den Hausarrest verlegt oder sogar komplett entlassen werden. Doch medizinische Faktoren sollen nicht das entscheidende Kriterium sein, ob einem Gefangenen potenziell lebensrettende Maßnahme zustehen oder nicht. An erster Stelle steht bei dem Gesetzesentwurf von Erdoğans AKP und der ultranationalistischen MHP immer noch die Straftat. So könnten mehrere wegen fahrlässiger Tötung verurteilte Polizisten von der Regelung profitieren, während inhaftierte Politiker, Journalisten oder Aktivisten in den beklemmenden Zuständen türkischer Gefängnisse dem Tod ausgesetzt sind.
So bewahrheitet sich auch in der Türkei die traurige Erkenntnis, dass die Regierung, wie so viele andere Staatsführungen auch, das grassierende Virus nutzt, um zutiefst ungerechte Politik zu machen. Im Falle Ankaras wirkt es fast so, als würde die Regierung darauf hoffen, dass das Coronavirus das Land von unliebsamen Dissidenten »befreit«. Zweifellos ist es in diesen Tagen ungefährlicher, in der Türkei ein verurteilter Beamter der Staatsgewalt zu sein als ein die Schreibfeder führender Kritiker.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.