Diese Daseinsvorsorge schafft sich ab

Thomas Gesterkamp beklagt Denkfaulheit in manchen Köpfen des öffentlichen Dienstes

  • Thomas Gesterkamp
  • Lesedauer: 3 Min.

Der öffentliche Dienst präsentiert sich in Corona-Zeiten äußerst widersprüchlich: Während Pflegekräfte, Ärzte, Krankenschwestern oder Rettungssanitäter weit über dem Limit schuften und zudem noch einem besonders hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind, haben staatliche Angestellte in anderen Bereichen derzeit wenig zu tun. Manche von ihnen profitieren gar von den Einschränkungen - ohne dass darüber viel geredet oder gar kontrovers diskutiert wird.

Zoologische und botanische Gärten wurden geschlossen, Schulen, Kitas und Universitäten genauso zugesperrt wie Museen oder Büchereien. In all diesen Institutionen gibt es selbstverständlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die weiterhin engagiert ihrer Arbeit nachgehen. Tierpflegerinnen füttern Giraffen oder Zebras, Gärtner kümmern sich um blühende Pflanzen in (leider menschenleeren) Parks. Fürsorgliche Lehrkräfte versenden per E-Mail Arbeitsbögen und Videos, telefonieren ihren Schülern hinterher oder machen gar Hausbesuche in »bildungsfernen« Familien. Erzieherinnen bieten »Notbetreuung« für Kinder an, deren Eltern in »systemrelevanten« Berufen tätig sind. Angestellte machen Überstunden am Wochenende, um staatliche Hilfen für Kleinunternehmer schnell zu bearbeiten. Oder sie melden sich, weil sich ihre übliche Tätigkeit reduziert hat, freiwillig für besondere Aufgaben im Rahmen des Krisenmanagements.

Doch daneben gibt es eine andere Seite der viel gerühmten »Daseinsvorsorge« im öffentlichen Dienst. Zu erleben zum Beispiel in den Osterferien vor dem »Wertstoff-Center« in Köln-Ossendorf: Kilometerweit stauten sich dort voll bepackte Autos, deren Insassen ihren Sperrmüll loswerden wollen. Die Abholung an der Haustür hat die Stadt eingestellt, ihre zweite Sammelstelle in Gremberghoven auf der anderen Rheinseite kurzerhand dichtgemacht. Die inhaltsleere Begründung lautet, wie könnte es anders sein, »Corona«. Verständlich ist das nicht, ganz im Gegenteil.

Wenn Leute ihre Zeit zu Hause verbringen müssen und deshalb ihren Keller aufräumen, wäre es eigentlich die Aufgabe der öffentlichen Abfallwirtschaft, sich auf diese neue Situation einzustellen. Aufmerksame »Daseinsvorsorge« hieße in diesem veränderten Kontext, das Angebot zu erweitern, die Öffnungszeiten der Sammelstellen zu verlängern, statt sie zu schließen. Zusätzliche Risiken entstehen dadurch nicht, denn die individuelle Sperrmüllabgabe funktioniert weitgehend »kontaktfrei« und ohne viel Personal. Der Einweiser an der Zufahrtsstraße dirigiert die Fahrzeuge zu den richtigen Containern, dort werfen die privaten Entrümpler ihre überflüssig gewordenen Gegenstände hinein. Von Ansteckungsgefahr keine Spur. Stattdessen herrscht Denkfaulheit in den Köpfen, ganz nach dem altbackenen Bürokratenwitz: »Morgens zehn Minuten dumm gestellt erspart einen ganzen Tag Arbeit«.

Ein anderes Beispiel, die Bibliotheken: Die Menschen haben mehr Zeit zum Lesen, zum Hören von Musik oder zum Schauen von Filmen. Daseinsvorsorge? Fehlanzeige. Die Onlinebestellung von E-Books sei weiter möglich, sagt die Bibliothekarin freundlich am Telefon. Warum aber machen sich die Mitarbeiter (und deren Vorgesetzte) so wenig Gedanken darüber, wie die Ausleihe anders zu organisieren wäre? Auf Wochenmärkten wird Gemüse mit Handschuhen und im Sicherheitsabstand verkauft. Buchhändler oder Gastronomen liefern bestellte Ware direkt ins Haus. Im öffentlichen Sektor dagegen begnügt man sich mit zugesperrten Türen. »Das hat der Krisenstab der Stadt so beschlossen«, lautet die hilflose, aber auch bequeme Antwort der Bibliothekarin.

Jetzt sollen etwa die Zoos wieder öffnen dürfen. Doch warum wurden sie überhaupt dichtgemacht, wodurch den Kommunen zudem Einnahmen entgehen? Es mag sinnvoll sein, enge Tier- oder Gewächshäuser zu sperren, damit dort nicht zu viele Leute zusammenstehen. Doch wo bleibt die Fantasie, die der »alternativlosen« Anordnung der Politik trotzt? In anderen öffentlichen Räumen halten sich die Menschen doch auch an den Rat, Abstand zu halten. Das funktioniert auch in Museen oder Ämtern. Was hat die Ausstellung eines Führerscheins mit Corona zu tun? Die durch Schließungen »Freigestellten« sollten kreative und kundenorientierte Ideen entwickeln, wie sie ihre Dienstleistung unter erschwerten Bedingungen weiter anbieten können. Denn sonst besteht die Gefahr, dass sich Teile der staatlichen »Daseinsvorsorge« gerade selbst überflüssig machen.

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