Blütezeit der Normalsportlichen

Seit Corona scheint alle Welt zu joggen und zu radeln. Laut einer Studie hilft das vor allem den bereits Aktiven

  • Marion Bergermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Gazellenartig rennen erfahrene Jogger*innen durch die Parks, stark schnaufend daneben die Neuen. Das Internet ist voll mit kuriosen Videos von Menschen, die in der Corona-Zeit an der Einbauküche entlang klettern, von Dach zu Dach Tennis spielen oder auf dem Laufband Inlineskaten. Der individuelle Freizeitsport scheint zu boomen.

Joggen, Radfahren und Walken waren bis zur sanften Öffnung erster Vereinsanlagen die einzige sportliche Bewegungsmöglichkeit außerhalb der eigenen vier Wände. Und eine der wenigen Begründungen dafür, sich draußen aufhalten zu dürfen. Die Leute strömten also ins Freie oder rollten die Yogamatte in den Wohnzimmern aus.

Es sieht so aus, als ob viel mehr Menschen auf eigene Faust aktiv sind. Ob wirklich mehr Menschen Freizeitsport betreiben, lässt sich bisher schwer überprüfen. Mehrere Anzeichen dafür gibt es aber.

Fitness-Apps werden mehr heruntergeladen und Fitnessvideos auf Videoplattformen wie die tägliche Sportstunde von Alba Berlin haben regen Zulauf. Anfang April berichtete die Gymnastiktrainerin Gabi Fastner dem »nd«, dass die Klickzahlen ihrer Fitnessvideos auf ihrem Youtube-Kanal in den vergangenen Wochen gestiegen seien. Seit 2006 veröffentlicht sie beinahe täglich ihre Filme mit Schwerpunkt Rückenstärkung und Abnehmen. Momentan bekomme sie Rückmeldungen, »dass man jetzt endlich die Zeit nutzen und was für den Körper tun will«, sagte die ausgebildete Gymnastiklehrerin.

Gleichzeitig teilte Mitte März der Bonussystem-Anbieter Payback mit, dass unter anderem Onlineshops für Sportkleidung einen starken Anstieg verzeichnen würden. Auch das Versandhaus Otto ließ Anfang April wissen, dass die Nachfrage nach Sportgeräten stark gestiegen sei: Hanteln etwa würden gerade etwa sechsmal so viel verkauft wie sonst. Ob sich viele sportlich betätigen, oder die Hanteln in der Ecke liegen und die Kleider eben stylish sind, kann man daraus nicht unbedingt schließen.

Ralf Brand, Professor für Sportpsychologie an der Universität Potsdam, ist der Erste in Deutschland, der mit seinem Forschungsteam Daten dazu vorliegen hat, ob die Menschen seit der Corona-Pandemie tatsächlich mehr Sport machen. Bisher sind es Zwischenergebnisse, im Sommer wird das Endergebnis vorgestellt.

»In Deutschland hat sich das Aktivitätsniveau leicht gesteigert«, sagt Brand dem »nd«. Dabei geht es nicht nur um strammes Joggen, sondern auch um normal schnelles Radfahren oder schlichtes Spazierengehen. An der Befragung nahmen bisher 13 000 Menschen aus mehr als 50 Ländern teil. Bis zum 20. April, dem Tag der ersten Lockerungen von Maßnahmen in Deutschland, hatten 2000 Menschen hierzulande den Fragebogen ausgefüllt.

Auch wenn die Deutschen sich insgesamt anscheinend etwas mehr bewegen, gibt es Unterschiede: »Menschen, die sich vor der Corona-Pandemie bereits regelmäßig zwei- bis dreimal pro Woche bewegt und Sport getrieben haben, machen jetzt zum Teil sogar deutlich mehr«, erklärt der Wissenschaftler.

Aber diejenigen, »die sich vor der Corona-Pandemie gar nicht oder sehr selten körperlich betätigten, steigern ihre Aktivitäten nur wenig, etwa mit Spaziergängen«, berichtet Brand. Ein Teil derjenigen, die vorher sehr viel Sport und Bewegung gemacht haben, täte dies nun etwas weniger.

Das könnte mit dem bisher kaum möglichen Vereinssport zu tun haben. »Ich halte es für sehr plausibel, dass die Einschränkungen im Angebot von Sportvereinen und die Schließung von Fitnessstudios ein Grund ist, dass die, die sonst sehr viel Sport treibe, nun weniger machen«, sagt Brand.

Die Studie untersucht vor allem, wie sich Bewegung in diesen Zeiten auf das Wohlbefinden auswirkt. Bisher scheint es so, als ob mehr Spaziergänge oder Sport nicht gleich dazu führen, dass sich jemand besser fühlt. »Für diejenigen die aktuell regelmäßig aktiv sind, messen wir ein allgemein besseres Wohlbefinden. Jene, die vor der Krise nichts gemacht haben und jetzt ein bisschen, fühlen sich aktuell vergleichsweise weniger gut.« Man kann also nicht pauschal sagen, dass diejenigen, die Sport machen, die Krise bisher besser wegstecken. Wer indes sowieso regelmäßig Sportübungen mache, gehe »auch stabiler aus der Krise heraus«, meint Youtube-Trainerin Fastner.

Auch wenn Menschen sich jetzt mehr individuell sportlich betätigen, ist davon auszugehen, dass sie für das Sporttreiben zu ihren Vereinen zurückkehren, sobald dies möglich ist. Deutschland ist das Land des organisierten Vereinssports schlechthin: 2019 trieben 27,4 Millionen Menschen Sport unter dem Dach des Deutschen Olympischen Sportbundes. 90 000 Sportvereine sind im im dort organisiert.

Die Sportpolitiker hätten natürlich gerne, dass die Vereine bald wieder die gewohnte Rolle spielen. Der Landessportbund Berlin argumentiert, gerade im Vereinssport »unter Anleitung unserer qualifizierten Übungsleiterinnen und Übungsleiter« sei kontrolliertes Sporttreiben möglich, Ansteckungsrisiken würden minimiert.

Momentan sind die Aussichten für den organisierten Sport gut. In einigen Bundesländern darf man wieder Tennis spielen, Draußensportarten wie Rudern oder Leichtathletik folgen. Schon bald müssen wohl auch die Vereinsmitglieder wieder ran, die in den letzten Wochen eher Ausdauersitzen auf der Couch trainiert hatten: keine Ausreden mehr.

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