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Kreuzberg guckt EM-Fußball
EM der Frauen: Zu Besuch beim größten Public Viewing in Berlin
»Ich hoffe, der Regen macht uns keinen Strich durch die Rechnung«, sagt Public-Viewing-Moderator Louis Richter. Es ist 15.30 Uhr, die meisten Tische und Liegestühle sind noch leer, die große LED-Leinwand ist ausgeschaltet. Der graue Himmel am Dienstagnachmittag lockt die Passanten nicht gerade zum spontanen Besuch des Biergartens der BRLO-Brauerei im Berliner Park am Gleisdreieck. Um 18 Uhr wird hier das EM-Spiel der deutschen Fußballerinnen gegen Gruppengegner Dänemark gezeigt. Der Wetterbericht beruhigt den »11 Freunde«-Redakteur Richter. »Beim ersten Spiel war hier fast mehr los als letztes Jahr bei den Männern«, sagt er.
Eine Stunde später strömen immer mehr Menschen in den Biergarten. Moderator Richter interviewt im Vorprogramm des Public Viewing die ehemalige Profifußballerin Kathrin Längert auf der Bühne. »Ich finde toll, dass man hier mit einem Frauen-Fußballspiel den ganzen Biergarten vollmachen kann«, sagt die 38-jährige, die unter anderem für den FC Bayern auflief. Es füllt sich. Das ZDF ist da, auch ein Journalist des französischen Fußball-Magazins »So Foot« beobachtet das Treiben. Die 800 Plätze sind fast alle schon besetzt.
Fußball zwischen Bier und Pommes
Die Stimmung ist gut, auf den Tischen stehen Bier, Schorle und Cola zwischen Bratwurst, Kartoffelsalat und Pommes. Viele freuen sich auf das Spiel, durch das die deutsche Nationalmannschaft bei einem Sieg gegen Dänemark ins Viertelfinale einziehen könnte. »Das ist genau wie bei der Männer-EM: Wenn das erste Spiel gewonnen wurde, dann geht es so richtig ab«, sagt Zuschauerin Yvonne Fricke (46). »Es ist ein absoluter Hype!«
Die Sonne durchbricht die Wolken rechtzeitig zum Anpfiff, lässt die Gesichter des Publikums golden leuchten und scheint denen entgegen, die erst jetzt auf das Gelände treten. Der Duft gegrillter Rippchen begrüßt sie am Eingang und wird weiter drinnen abgelöst vom leichten Holzgeruch der Späne, die den Boden bedecken. Im Korridor zwischen Eingang und Leinwand blicken die Zuschauenden im Stehen aufs Spiel. Weiter hinten, nahe dem Getränkestand, riecht es nach frisch gezapftem Bier. Freie Plätze gibt es nicht mehr.
Gegentor als Stimmungsdämpfer
Unter den Zuschauenden sind vor allem Frauen und junge Leute, die absolut mitfiebern. Und in der 18. Minute bricht Jubel aus: »Jaaaa!« Doch die Freude hält nicht lange an. Das Tor wird nach Einsatz der Video-Schiedsrichterin zurückgenommen. Die deutsche Linksverteidigerin Sarai Linder erhält kurz darauf Szenenapplaus vom Berliner Publikum; sie hat die dänische Starspielerin Pernille Harder durch einen fairen Zweikampf vom Ball getrennt. »Gut gestört«, ruft jemand. Doch dann geht ein Raunen durch den Garten, gefolgt von absoluter Stille: Dänemark ist in Führung gegangen (26.).
Das Tor zeigt Wirkung, die Fans werden leise, nur noch vereinzelte Ahs und Ohs sind zu hören. Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne, als wollte sie die düstere Stimmung noch untermalen. In der 37. Minute keimt leise Hoffnung auf, als Schiedsrichterin Catarina Ferreira Campos auf Elfmeter für Deutschland entscheidet. Auch dieses Mal greift jedoch der Video-Assistant-Referee ein: Das Handspiel der Dänin Frederikke Thögersen fand außerhalb des Strafraums statt.
DFB-Comeback lässt Fans jubeln
Erst zur Halbzeitpause wird wieder munter geredet und gelacht. Die Public-Viewing-Zone hat sich mittlerweile noch mehr gefüllt. Auf dem Boden neben den ersten paar Tischreihen sitzen etwa 30 Jugendliche auf den Holzspänen.
Während sich die Zuschauenden in Berlin-Kreuzberg mit neuen Getränken und in Papier gewickelten sauren Gurken aufmuntern, findet Bundestrainer Christian Wück in der Halbzeitpause wohl die richtigen Worte. Die deutsche Nationalelf zeigt vor 16 000 deutschen Fans, die in Basel fast das halbe Stadion füllen, ihre Comeback-Qualitäten.
Als in Basel in der 55. Minute auf Elfmeter für Deutschland entschieden wird, stehen in Berlin noch viele in der Getränkeschlange. Das hindert aber niemanden daran, den Ausgleichstreffer durch die deutsche Mittelfeldspielerin Sjoeke Nüsken ausgelassen zu feiern. Wohl keine Hand bleibt auf dem Schoß liegen, jeder Arm wird zum Feiern in die Luft gerissen, begleitet vom lang anhaltenden Jubel der Fans.
Die Atmosphäre ändert sich durch den Ausgleich auf einen Schlag. Nur zehn Minuten später verwandelt sie sich in pure Freude: Stürmerin Lea Schüller bringt die deutschen Frauen mit 2:1 in Führung. In Kreuzberg prosten sich Menschen zu. Eine Gruppe junger Männer lässt sich sogar dazu hinreißen, für einen Moment im Takt zu klatschen und »Deutschland!« zu rufen. Um sie herum will dabei jedoch niemand mitmachen, und so hören sie rasch wieder auf. Applaus gibt es noch einmal, als auf der Leinwand die Zuschauendenzahl im St.-Jakob-Park in Basel angezeigt wird: Über 34 000 Fans kamen am Dienstag ins größte EM-Stadion bei dem Turnier in der Schweiz und stellten damit den höchsten Wert des Turniers auf.
Noch ist nicht alles perfekt
Dann ertönt der Abpfiff. Einige brechen gut gelaunt auf, während andere sich noch das Spiel der Schwedinnen gegen Island ansehen. Das »11 Freunde«-EM-Quartier zeigt als einziger Standort fast alle Spiele der EM, nur das letzte Gruppenspiel der Deutschen nicht. Die Brauerei hatte den Termin am 12. Juli bereits anderweitig vergeben. »Ich glaube, hier hätte niemand was dagegen, wenn wir jetzt das dritte Spiel auch noch hier hätten«, sagt Moderator Richter.
Dass dem so ist, bestätigen die Gäste. Anna-Lena Heintze (17) würde wiederkommen, »aber das nächste Mal früher«. Sie gehörte zu jenen, die nur noch auf dem Boden einen Sitzplatz fanden. Sie beschreibt die Stimmung als »krass« und sagt, sie sei »positiv schockiert, dass es hier so voll ist – sehr schön!«
Auch Frida Riisnes und Frida Woll (beide 29) aus Norwegen sagen, sie würden definitiv wiederkommen: »Es ist nicht zu laut, wir können uns auf den Fußball konzentrieren und die Atmosphäre ist echt entspannt.« Allerdings sind sie auch aus Mangel an Alternativen nach Kreuzberg gekommen. »Wir haben keinen anderen Ort gefunden, wo wir die EM schauen könnten«, sagt Riisnes. Die beiden Norwegerinnen glauben, dass die EM der Frauen in ihrer Heimat mehr Beachtung findet als in Berlin. »Vielleicht, weil bei uns das Team der Frauen besser als das der Männer ist«, sagt Woll.
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